Juni 1912

02. Juni 1912
Morgen vollenden sich 50 Jahre, daß im Hüttengrund auf dem sogenannten Schlackenweg die Frau Christiane Friederike Friedrich, geb. Sonntag aus Pfaffenhain vom Blitze erschlagen wurde. Die Angehörigen der Frau ließen zum bleibenden Gedächtnis am Schlackenweg, neben dem jetzigen Grundstück des Herrn Privatmanns Ebersbach, einen einfachen Stein setzen, der noch heute mit folgenden eingehauenen Worten Kunde von dem Unglück gibt: „800 Fuß von hier wurde am 2. Juni 1862 Frau Christ. Friederike Friedrich, geb. Sonntag aus Pfaffenhain vom Blitze erschlagen.“ Der Stein hatte durch den Zahn der Zeit sehr gelitten, wurde aber vor einigen Jahren durch die Nachkommen der Frau erneut in Stand gesetzt. Glücklicherweise ist seit diesen 50 Jahren kein weiterer derartiger Unglücksfall in unserer Stadt zu verzeichnen gewesen; ein Verweis, daß die Blitzgefahr doch nicht so groß ist, als man allgemein glaubt.

05. Juni 1912
Gestern nachmittag verunglückte auf der Dresdnerstraße, unweit der Breitestraße, ein von der Arbeit heimkehrender Radler dadurch, daß ihm ein Hund ins Rad lief. Im selben Augenblick kam ein anderer Radfahrer die Straße entlang, beide stießen zusammen und wurden auf die Straße geschleudert, ohne zum Glück nennenswerte Verletzungen davonzutragen. Leider wurde des ersteren Rad so beschädigt, daß er dasselbe dem Besitzer des Hundes zur Verfügung stellte und ihn schadenersatzpflichtig machen will.

06. Juni 1912
In außerordentlich gefährliche Lage befand sich ein etwa 12jähriger Knabe, der gestern nachmittag gegen 4 Uhr an der Einmündung der Schubertstraße die Lungwitzer Straße auf dem Rad hinabfuhr, als, erst im letzten Augenblick das Hupensignal gebend, ein auswärtiges Automobil um die Ecke an der „Linde“ fuhr. Der Knabe fuhr mit kräftigem Anprall an das Auto und er selbst fiel auf den Vorderbau des Fahrzeuges, dadurch der Gefahr des Ueberfahrenwerdens entgehend. Das Fahrrad kam unter ein Vorderrad des Autos und ward bös mitgenommen, dem Auto wurde der Kühler zertrümmert. Der noch glimpflich abgelaufene Unfall konnte nur deshalb geschehen, daß das Automobil die Kurve gar zu kurz nahm und so dem jugendlichen Radfahrer keine Gelegenheit zum Ausweichen gegeben war.

11. Juni 1912
Den Drang nach Freiheit verspürte gestern nachmittag auf dem Schützenplatz ein Affe eines dortigen Schaustellers. Das Tier schlüpfte eilends durch die Zuschauermenge und nahm über mehrere Zäune der Schützenstraße Reißaus, wo er sich dann im Hühnerstall des Herrn Fleischermeisters Richter verkroch. Das Tier erfreute sich jedoch nicht lange der goldenen Freiheit, denn es wurde schließlich von Angestellten des Schaustellers gefangen und angekettet. – Auf der Rutschbahn trug sich gestern nachmittag ein bedauerlicher Unglücksfall zu. Der 13 Jahre alte Knabe eines in der Neustadt wohnenden Fabrikwebers geriet beim Abrutsch mit einer Hand zwischen eine Welle und den Riemen, wobei er sich zwei Finger schwer verletzte. Der Verunglückte wurde vom Besitzer sofort zu einem Arzt gebracht.

21. Juni 1912
Die „Rote Acht“ kann heute ein Jubiläum begehen: Während Herr Schmiedemeister Mehnert im Jahre 1886 als erstes das jetzt Bohnesche Haus erbaute, wurden die sieben anderen Anwesen alle ein Jahr darauf also vor 25 Jahren errichtet. Sechs davon sind noch in den Händen der damaligen Bauherren. Mit der Errichtung dieser Häuser wurde der ganzen Umgebung, die mit dem gegenüberliegenden alten Gottesacker und dem bewaldeten Höhenzug, der jetzt die „Rote Achte“ trägt, einen einsamen, in der Nachtzeit fast furchterregenden Charakter trug, ein neues Gesicht aufgedrückt, das mit der Schaffung der Parkanlagen ein noch viel schöneres wurde. Ein glücklicher Zufall will es, daß im heurigen Jubiläumsjahre die letzte der Baustellen belegt wird. Der hier entstehende Bau bedeutet fürs Ganze einen endgültigen hübschen Abschluß, der auch dem Meinsdorfer Weg, als dem Aufstieg zum Berg, zustatten kommen wird.

22.06.1912
Durch den Bau eines zweiten Zwölffamilienwohnhauses an der Bismarckstraße und dem sogenannten Schlackenweg, welches die Baugenossenschaft gegenwärtig ausführen läßt, mußte bekanntlich der Schlackenweg am oberen Teil weiter nach dem Martin Lutherstift verlegt werden und so entspann sich über den Weg in der letzten Stadtverordnetensitzung eine umfangreiche Debatte. Vor einigen Tagen hat nun die Baugenossenschaft den seitherigen Weg ganz verschlossen und dafür den neuen Weg direkt durch ihr Grundstück gelegt, wodurch das dortige Straßenbild ein verändertes und weit gefälligeres geworden ist. Der Schlackenweg geht nun zwischen dem 1. Wohnhaus der Baugenossenschaft und der Selbmannschen Villa durch, durchschneidet das Grundstück des Landwirts Bauer unterhalb dessen Scheune und mündet mehr in gerader Linie in den alten unteren Schlackenweg ein. Auf dem Genossenschaftsgrundstück wurde der neue Weg auf Vereinskosten mit Packlager versehen, während der Teil am Bauerschen Grundstück auf Stadtkosten hergerichtet wird. Durch die Verlegung ist der Weg nun etwas kürzer geworden, was von Nutzen für Passanten ist.

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Mai 1912

03. Mai 1912
Am vorigen Freitag erschien bei einem Bäcker in der Lichtensteiner Straße ein angeblicher Malergehilfe Fritz Schmidt aus Düsseldorf und logierte sich dort ein. Unter dem Vorgeben, seine Papiere von auswärts holen zu wollen, borgte er sich des Bäckers Fahrrad und machte sich auf und davon; er ist bis heute noch nicht zurückgekehrt. Der Mann ist etwa 26 Jahre alt, von schmächtiger Gestalt, hat blonden Schnurrbart, braune Gesichtsfarbe, trägt schwarzen steifen Filzhut und grauen Jackettanzug. Das Rad, Marke „Superior“, hat schwarzen Rahmenbau und weiße Felgen.

07. Mai 1912
Unser Berghaus hatte gestern einen wichtigen Tag: Nicht nur, daß sich der herrliche Maisonntag in zahlreichem Besuch äußerte – von früh bis spät ist der Berg nicht eine halbe Stunde ohne Ausflügler und Spaziergänger gewesen -, sondern die vom ersten Bergfest her noch in schöner Erinnerung stehenden roten Gartenschirme spannten das erste Mal für diesen Sommer ihre schützenden Zelte aus und gaben dem Ganzen einen reizvollen Anstrich. Ihr Aufstellen mag ausdrücken, daß die Zeit der Ausflüge nicht ohne merkbare Spuren für unsere Stadt bleiben möge – ob sich nicht gestern schon die einsetzende Zugkraft unserer Bergschöpfungen auch in der übrigen Stadt bemerkbar gemacht hat? -, daß vor allem die einzigartige Fernsicht von unserem Höhenrücken mehr und mehr bekannt werden möge. Die zahlreichen Fremden, die sie gestern das erste Mal genossen, haben unauslöschliche Eindrücke mit fortgenommen.

10. Mai 1912
Frau Karoline verw. Selbmann, die 26 Jahre lang als Hebamme der Einwohnerschaft von Ernstthal bez. Hohenstein-Ernstthal ihre Dienste gewidmet hat und zurzeit in Eppendorf im Ruhestand lebt, wurde von der Stadtverwaltung in dankbarer Anerkennung der bewiesenen Treue und Anhängigkeit ein Ehrendiplom verliehen.

14. Mai 1912
„Hallenweihe des Turnerbundes“
Wetterglück! Wahrlich, unser Turnerbund muß bei dem himmlischen Wettermacher gut angeschrieben stehen, sonst hätte sein Fest unter so günstigen äußeren Umständen kaum stattfinden können! Noch am Sonnabend sah es keineswegs verlockend aus. Abends regnete es etwas und in der Nacht wurde es auf einmal unter dem Einfluß einer südwestlichen Luftströmung so warm, daß man für den Sonntag das Schlimmste befürchten mußte. Und doch wurde es ein herrlicher, nur etwas zu heißer Frühlingstag, der de, Feste den programmmäßigen Verkauf gestattete. Lustig blähten sich im Morgenwind und Sonnengold die Flaggen und Girlanden, die in allen Straßen den festlichen Tag begrüßten und schon in der zwölften Mittagsstunde zog Verein auf Verein in unsere Stadt ein, um an den Festlichkeiten teilzunehmen. Und gegen 2 Uhr bewegten sich Tausende von Menschen in den Straßen und alles zog hinauf auf den Berg, wo schon von weitem die Turnhalle und das Berghaus grüßten. Daß die Halle die Teilnehmer an dem für unsere Verhältnisse riesigen Festzug nicht fassen würde, war vorauszusehen, nicht aber konnte man ahnen, daß die Halle schon von Hunderten besetzt war, ehe der Festzug überhaupt nach dem Berge kam. Richtiger und den Begriffen der Weihe entsprechender wäre es wohl gewesen, wenn der Kommers am Sonnabend noch gar nicht in der – ja erst noch zu weihenden – Halle, sondern vielleicht im Altstädter Schützenhaus stattgefunden hätte, wenn die Halle bis zur Ankunft des Festzuges verschlossen gewesen wäre und dann nach der feierlichen Uebergabe der Schlüssel sich die Halle mit fremden und hiesigen Turnern gefüllt hätte. So hatten sich in der Halle unzählige Kinder, einzelne Personen in sehr saloppen Kostümen und junge Leute beiderlei Geschlechts, die zur Turnerei in keiner oder nur in sehr schwacher Beziehung standen, eingefunden und die Turner, für die doch zuerst hätte Platz sein sollen, mußten sich drängen und drücken, um überhaupt von der Weihe etwas wahrzunehmen. Und während der feierlichen Handlung fand Gehen und Kommen statt, so mancher wußte noch nicht, daß man in einem Saale den Hut abzunehmen hat, kurz, es ging nicht so würdig zu, wie es hätte sein sollen. Aber, das sind Dinge, die heute zu den geschehenen gehören und der Vergessenheit anheimgegeben werden sollen. Prächtig war das Bild, das sich nach der Weihe auf dem Turnerplatz entwickelte; die Hunderte von kräftigen jugendlichen Gestalten, die im Wetteifer bestrebt waren, ihr Können zu zeigen, die Tausende festlich gekleideten Menschen, die dem turnerischen Wettstreit zusahen und oft ihren Beifall kundgaben, dazu die herrliche, frühlingsgrüne Natur, die den ausgedehnten Platz umsäumte: Alles in allem ein Bild, wie es nur wenige Städte im Sachsenlande zu bieten vermögen, ein Bild, das sich auf Jahre hinaus dem Gedächtnis unauslöschlich einprägt.

23. Mai 1912
Recht unkollegial benahm sich ein hiesiges junges Mädchen gegen eine auf dem Altmarkt wohnende verheiratete Nebenarbeiterin. Sie stahl aus den in der Fabriksgaderobe hängenden Kleidern der letzteren den Wohnungsschlüssel, verließ die Arbeitsstätte für einige Zeit, öffnete die Wohnung und durchwühlte sämtliche Schränke und die Kommode vermutlich nach Geld, ohne solches zu finden. Dann ging sie wieder an ihre Arbeit und steckte den Schlüssel wieder in der Garderobe in die Kleider. Als am Nachmittag die Frau nach Hause kam, wurde sie sofort gewahr, dass unberufene Hände nach Sehenswertem gesucht hatten, denn das Mädchen hatte die Wohnung in der größten Unordnung zurückgelassen. Das Mädchen gestand schließlich den Diebstahlversuch ein, da sie sich zuvor verdächtig gemacht hatte.

30. Mai 1912
Gestern mittag machte ein in der Neustadt wohnender Musiker bei einem Spaziergang über die sogenannten „Waldplätze“ an einem auf Wüstenbrander Flur (zwischen der fiskalischen Straße und dem Bahnwärterhäuschen) gelegenen Teiche einen grausigen Fund. Er fand, im Wasser liegend, einen Menschen tot vor, der ungefähr 35-38 Jahre alt sein mochte. Er zog den Körper aus dem Wasser und meldete dann den Fund im Wüstenbrander Gemeindeamt, welches für Aufhebung und Überführung der Leiche nach der Totenhalle sorgte. Jedenfalls hat der Mann den Tod freiwillig gefunden, denn man fand in seinen Kleidern Papiere, auf den Namen eines Tiefbauarbeiter Dreißig aus Chemnitz-Hilbersdorf, sowie einen Abschiedsbrief an seine Frau und Familie und ein Rasiermesser. Geld hatte er nicht bei sich. Der Körper hat jedenfalls schon einige Tage im Wasser gelegen.

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April 1912

02. April 1912 – Karl May †
Wie uns heute mittag ein Telegramm aus Radebeul mitteilt, ist der Schriftsteller Karl May heute dort gestorben. Kaum von schwerer Krankheit genesen, weilte er erst noch in letzter Zeit in unserer Stadt, um für eine Prozess gegen seinen langjährigen Gegner Lebius hier tätig zu sein, am 16. April stand in seiner Angelegenheit gegen Lebius vor dem hiesigen Kgl. Schöffengericht Termin an: nun hat ihn der Allbezwinger Tod niedergerungen und ihm die Feder aus der müden Hand genommen. Neben den aufrichtigen und leidenschaftlichen Freunden hat Karl May in seinem Leben in gleichem Maße erbitterte Gegner gefunden und die letzten Lebensjahre haben ihm durch die unaufhörlichen Prozesse, die alte längst verjährte Jugendsünden wieder an das Tageslicht zerrten, seelische Qualen gebracht, die an seinem Mark und Kraft zehrten. Von der parteien Gunst und Hass verwirrt, schwand sein Charakterbild in der Geschichte: wir werden morgen in einer eingehenderen Würdigung unserem Landesmanne gerecht zu werden versuchen, der, man nehme alles nur in allem, ein nicht alltäglicher Mann war und als Schriftsteller Millionen für sich begeistert hat.

04. April 1912
In dieser Woche wird der begonnene Umbau im Etablissement „Hüttenmühle“ beendet sein und so kann die Einweihung an den Osterfeiertagen erfolgen, während der weiter vorgesehene Umbau später ausgeführt wird. War das oben genannte Etablissement schon seit Jahren ein beliebter Ausflugsort für Einheimische und Fremde, so wird jetzt, nach der Erweiterung, der Zuzug noch ein bedeutend größerer werden. Der Saal ist mit prächtiger Malerei ausgestattet; hier haben wirkliche Künstlerhände geschafft, deren Arbeiten auf jeden Besucher einen wirksamen Eindruck zu machen. Die Malereien sind vom hiesigen Malermeister Herrn Rudolf Viehweg ausgeführt worden. Wir wünschen dem rührigen Besitzer des Etablissements auch in seinem neuen Unternehmen recht guten Erfolg. Näheres belegen die Inserate in der nächsten Nummer des „Tageblattes“. – Postkarte Hüttenmühle –

10. April 1912
Gestern nachmittag gegen sechs Uhr fiel ein etwa fünfjähriger Knabe in einen Teich in der Nähe der Bleicherei Hüttenengrund. Das Kind wäre zweifellos ertrunken, wenn nicht Herr Schneider Schüppel von hier, der den Unfall mit angesehen hatte, herbeigeeilt wäre und den Kleinen dem nassen Element entrissen hätte. So kam das Kind mit dem Schrecken davon.

12. April 1912
Heute früh kurz nach 2 Uhr entstand im Hotel „Schweizerhaus“ am Bahnhof ein Brand, der aber glücklicherweise bald gelöscht werden konnte. In einem Raume neben der Stube des Hausdieners lagert verschiedenes Gerümpel, leere Weinflaschen, Strohumhüllungen dazu usw. Ueber diesen Raum führt ein tönerenes Ofenrohr in die Esse, und man nimmt an, daß durch dieses Rohr der Brand entstanden sein kann. Beide Kompagnien unserer Freiwilligen Feuerwehr waren bald zur Stelle und ihren Bemühungen gelang es, den Flammen Einhalt zu tun. Der Brandschaden ist wie bei dem gleichen Anlaß im vorigen Sommer, gering.

16. April 1912
In der Nähe der Zentralstraße fiel gestern ein frei herum laufender größerer Wolfspitz einige Passanten an. Während erwachsene Leute das bissige Tier durch brennende Zigarren und Stöße vom Leibe halten konnten, wurde ein 14jähriger Knabe von der Oststraße von dem Köter ohne jede Veranlassung in die Beine gebissen. Der Vorgang wurde dem Besitzer des Tieres durch Augenzeugen gemeldet und der Knabe entschädigt. Besser wäre es aber doch, wenn solche tierische Wegelagerer an der Leine geführt würden.

19. April 1912
Gestern abend in der 9. Stunde entstand vor dem Eckhaus der Bismarck- und Schillerstraße ein größerer Menschenauflauf, veranlaßt durch einen 13 Jahre alten Jungen, der aus den Fenstern eine zeitlang um Hilfe schrie, da sich nach seinen Angaben im Hause ein fremder Mann befinden sollte. Während ein junges Mädchen auf die Polizeiwache rannte, um Hilfe zu holen, machten sich zwei Männer im Haus auf die Suche nach dem Eindringling; auch die Polizei suchte später mit, fand aber nirgends etwas verdächtiges. Nach längerem Forschen klärte sich schließlich die Angelegenheit auf. In der Nähe des offenen Kammerfensters hing ein – Mantel, der sich im Luftzug hin und her bewegte und in der Dämmerung auf den Jungen den Eindruck machte, daß es ein Mensch sei.

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März 1912

01. März 1912
Für den Stadtteil Hüttengrund ist die Gründung eines neuen Turnvereins geplant, der sich voraussichtlich dem Deutschen Arbeiterturnerbund anschließen dürfte. Dieser Tage fand im Etablissement „Hüttenmühle“ eine Besprechung statt und wurde die Gründung im Prinzip beschlossen und die weiteren Vorarbeiten einer gewählten Kommission übertragen. Dem neuen Verein, der seinen Sitz in der „Hüttenmühle“ nehmen wird, traten bereits gegen 40 Personen bei.

03. März 1912
Herrn Strumpfwirker Friedrich August Degenhardt, Bismarckstraße* 53, der seit über 30 Jahren ununterbrochen im Betriebe der Firma Aug. Clauß tätig ist, wurde vom Königlichen Ministerium des Innern das tragbare Ehrenzeichen für Treue in der Arbeit verliehen. Im Beisein des Herrn Karl Vetter, Mitinhaber der gen. Firma, wurde die Auszeichnung Herrn Degenhardt heute mittag im Rathause durch Herrn Bürgermeister Dr. Patz unter Glückwünschen ausgehändigt.

06. März 1912
Trotzdem in der Presse wiederholt vor betrügerischen Händlern gewarnt wird, machen dieselben noch mitunter recht hübsche Geschäfte und das Publikum fällt, trotz aller Warnungen, gewissenslosen Handelsleuten zum Opfer. Dieser Tage machte ein junger kräftiger Mann, der mit Lilienmilchseife handelte, einige Straßen der Stadt unsicher. Er hatte sich zu seinem Gewerbe einen besonderen Trick zurechtgelegt. Er wollte Ausländer sein und hatte einen geschriebenen Zettel bei sich, daß er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, gleichzeitig seine Lilienmilchseife, die einen besonderen Wert haben sollte, pro Stück mit nur 25 Pfg. Verkaufspreis anbietend. Um die Sache noch verlockender zu machen, waren die kleinen Stücken Seife in schön gedrucktem Papier eingewickelt, auf dem ein Verkaufspreis von 50 Pfg. verzeichnet war. Der „billige Ausnahmepreis“ zog und der junge Mann machte gute Geschäfte. Allerdings machten die Käufer später enttäuschte Gesichter, denn die teure Seife war gewöhnliche Sodaseife und hatte höchstens einen Wert von 5 Pfg.

08. März 1912
Ein bedauerlicher Unglücksfall trug sich am Dienstag nachmittag in einem an der Dresdnerstraße, unterhalb des Naturheilvereinsgrundstücks gelegenen Steinbruch zu. Dort belustigten sich mehrere 10-12jährige Knaben beim Spiel, als der 11 Jahre alte Sohn eines auf der Bergstraße wohnenden Postbeamten abstürzte und sich dabei einen schweren Bruch des rechten Unterarmes zuzog. Ein auf der Dresdnerstraße wohnender Samariter leitete dem bedauernswerten Knaben die erste Hilfe und brachte ihn dann zu einem Arzt.

13. März 1912
Die alte Linde auf der Lungwitzer Höhe hinter der städtischen Gasanstalt hat das Zeitliche gesegnet. Mit ihr ging eines jener Naturdenkmäler zu Grabe, die oft ihrer ganzen Umgebung das Gepräge geben, was hier ganz besonders der Fall war. Es ist schade um den Baum. Er war das letzte Zeichen längst vergangener Tage´. Ob es eine Kult- oder Richtstätte gewesen ist, lässt sich nicht feststellen, doch deutete der Standort des Baumes auf einsamer, das Lungwitztal beherrschenden Höhe und der einst vorhanden gewesene Weiher sicher auf dergleichen hin. Von ihrem ehrwürdigen Alter erzählte die Beschaffenheit der Linde. Der Stamm war von oben bis unten in zwei Teile gespalten, deren jeder für sich grünte und blühte. Der Spalt war so groß, daß eine Person bequem hindurchgehen konnte, wie dem überhaupt sich im Laufe der Jahre ein Fußweg gebildet hatte, der sozusagen durch den Baum führte. Was zur Beseitigung auch für Gründe vorgelegen haben mögen, bleibe dahingestellt, es steht nur das eine fest: dergleichen alte Zeugen früherer Jahrhunderte sollten mit mehr Liebe gehegt und erhalten werden. Wir tun uns heute soviel zugute auf unsere Fortschritte, wissen aber nicht, daß wir mit der Vernichtung dessen, was uns die Altvordern hin erließen, ein Stück unserer selbst, unseres Werdegangs, vernichten. Wie von denen, die die Linde einst pflanzten, wird auch von ihr bald keine Spur mehr vorhanden sein, da ist es umso besser, daß unser Stadtmuseum in der Lage ist, den Baum mehrfach im Bilde zu besitzen. Zwei Photographien und eine Zeichnung werden unsern Nachkommen wenigstens den Baum als solchen zeigen, wenn auch leider die Stimmung der engeren oder weiteren Umgebung nicht festzuhalten möglich war.

23. März 1912
Jetzt wirds mit der elektrischen Bahn kräftig Ernst. Schon regen sich fleißige Hände für die ersten Vorarbeiten und Herr Baumeister Richter beginnt bereits mit dem Bau der Verwaltungsgebäude und der Wagenhalle. Der Bau des Gleises wird zugleich von beiden Seiten in Angriff genommen und so gefördert werden, daß im Herbst mit der Fertigstellung der Bahn sicher zu rechnen ist. Wie wir weiter hören, soll morgen der offizielle erste Spatenstich zum Bahnbau erfolgen – eine Tatsache, die all den vielen Zweiflern, die damit rechneten, daß das Projekt überhaupt nicht zur Durchführung kommen würde, zur Beruhigung dienen mag.

26. März 1912
Heute Vormittag gegen 10 Uhr, als das von der Dresdner Straße herkommende Automobil des Fabrikanten Th. Lindner aus Wittgensdorf die Bismarckstraße entlang fuhr, sprang vor der Kreherschen Bäckerei das vierjährige Töchterchen des Härtmeisters Robert Kreul über die Straße und lief direkt in das Auto hinein. Nur dem Umstande, daß das Gefährt wegen des regen Verkehrs auf dem Wochenmarkte ein langsames Tempo einhielt und das Auto fast im Augenblick die Fahrt einstellen konnte, war es zu verdanken, daß dem Kinde kein schweres Unheil widerfuhr. Das Kind ward angefahren, erlitt nur eine Verletzung am linken Bein und zog sich beim hinfallen leichte Verletzungen im Gesicht zu; es ward sofort in ärztliche Behandlung gegeben. Polizeilicherseits ward festgestellt, daß den Fahrer, den Chauffeur M. F. Jahn aus Oberlungwitz, keinerlei Verschulden trifft.

27. März 1912
Zu einer Zeit, da Hilfe glücklicherweise am schnellsten zur Hand war, gegen 6 Uhr abends, brach gestern im Hause des Musterzeichners Karl Drescher in der Oststraße ein Feuer aus, und zwar im Dachstuhl, der auch ausbrannte. Die Feuerwehr war bald zur Stelle und ihrem Eingreifen war es zu verdanken, daß der Brand auf seinen Herd beschränkt werden konnte. Der Familie Reinhold ist verschiedenes Mobiliar verbrannt. Wie es heißt, ist die Ursache des Feuers darin zu suchen, daß in die Esse, die vom Waschhause nach dem Dache führt, ein Balken eingebaut war, der Feuer gefangen und schon lange Zeit vorher geglimmt haben mochte, bis das Hinzutreten von Luft die Flamme entfachte.

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Februar 1912

02. Februar 1912
Der Bau der Turnhalle des Vereins „Turnerbund“ ist nun soweit vorgeschritten, daß die Handwerker im Innern der geräumigen Turnhalle die letzte Hand anlegen und die Arbeiten bald beendet sein werden. Die Leitung des Vereins hofft in spätestens 2 Wochen die Räume zu turnerischen Zwecken benutzen zu können. Mit Beginn des Frühjahres soll dann auch der umfangreiche Turnplatz der südlich der Halle am Bergeshang zu liegen kommt, fertiggestellt werden. Die offizielle Einweihung der Turnhalle erfolgt wie nun bestimmt festgelegt ist, am 12. Mai d. J. Mit dieser Einweihung ist ein großes Sportfest mit Wetturnen verbunden, an dem sich die besten Turner Sachsens beteiligen werden. Die gesamten Baukosten dürften voraussichtlich bald 100.000 Mark erreichen.

04. Februar 1912
Heute mittag verfügten sich die Herren Bürgermeister Dr. Patz und Stadtrat Anger in die Wohnung des Herrn Kaufmann Bernhardt, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, daß mit Genehmigung Sr. Majestät des Königs das Königl. Ministerium des Innern ihm Anerkennung seines langjährig verdienstvollen Wirkens als Ratsmitglied der Titel „Stadtrat“ verliehen habe. Der Herr Bürgermeister überreichte die ministerielle Verordnung hierüber und brachte die Glückwünsche der Stadtgemeinde dar.

10. Februar 1912
Eine recht gefährliche Fahrt machte heute nachmittag gegen ¾ 2 Uhr das mit einigen Säcken beladene Köhlersche Geschirr aus dem Hüttengrund. Gerade zu der Zeit, als die meisten Kinder auf dem Wege zur Schule waren, kam das zweispännige Gefährt in schnellstem Tempo die Schulstraße hinein: die auf dem Wagen Sitzenden hatten wohl das Schleifzeug angedreht, die Bremse wirkte jedoch nicht genügend und die Pferde vermochten den Wagen nicht zu halten. Der Zusammenstoß mit dem Gaskandelaber am Eingang zum unteren Schulhause erst machte der tollen Fahrt ein Ende. Hierbei Hierbei kam eines der beiden Pferde zum Stürzen und zog sich am vorderen rechten Oberschenkel eine stark blutende Wunde zu. Der Kandelaber wurde abgebrochen und die Laterne ging in tausend Trümmer. Der Unfall konnte sich leicht schlimmer gestalten, wenn der Zusammenprall mit den Kandelaber nicht erfolgt wäre.

14. Februar 1912
Ein aufregender Vorgang spielte sich gestern mittag an der Dresdner Straße neben dem Gasthof „Goldener Ring“ ab. Vor einem schnell vorüberfahrenden Automobil scheute das Pferd eines dort haltenden auswärtigen Landmannes und rannte mit dem leichten Wagen nach dem Meinsdorfer Weg zu, machte dann Kehrt und raste die Dresdnerstraße hinein, wobei unterwegs der hintere Teil des Wagens verloren ging. Neben dem Geschäftshaus der Firma Bohne u. Sohn kam das scheue Tier zum Stürzen und blieb mit der Wagendeichsel und den vorderen Rädern kurze Zeit liegen. Es sprang schließlich wieder auf, konnte aber durch schnell hinzukommende Leute aufgehalten werden. Zum Glück scheint das Tier keine keine nennenswerten Verletzungen erlitten zu haben. Personen sind auch nicht zu Schaden gekommen. Die Nummer des Autos wurde festgestellt.

18. Februar 1912
An die Zeiten des hiesigen Bergbaues, der bekanntlich gegenwärtig ganz zum Stillstand gekommen ist, erinnert die alte Bergfahne, die der Hohensteiner Knappschaft gehörte und im Jahre 1791 von hiesigen Jungfrauen geschenkt wurde. Sie befindet sich jetzt im Stadtmuseum im Stadthause. Um sie von dem gänzlichen Verfall zu retten – die Seide war nämlich durch das Alter so morsch geworden, daß das Fahnentuch infolge Verlust von Tuchteilen immer unansehnlicher wurde – ist sie auf beiden Seiten mit weitmaschiger Gage belegt und in genügend großen Abständen mit Steppnähten versehen worden. Dadurch wird vor allen Dingen auch, die Fahnenzeichnung, die aufgemalt ist – nur die Jahreszahl 1791 ist in Seidenstickerei angebracht – , auf die Länge hinaus erhalten bleiben. Die Zeichnung weist das Hohensteiner Bergwappen auf, das aus zwei schräg zueinander stehenden ovalen Schildern und zum darunter befindlichen Gemälde (Hammer und Schlegel) besteht. Das eine Schild zeigt das sächsische Wappen mit den Kurschwertern, das andere das schönburgische Wappen. Das ganze ist umrahmt von einem Kranz von Eichenzweigen. Das Fahnentuch ist mit gelber und schwarzer Franse eingefasst, dieselben Farben zeigt auch der Fahnenstock. Das alte Wahrzeichen erinnert an die Zeit, da der bergbau unter oder durch den Posamentier Anger aus Grünhain einen kurzen Aufschwung erlebte, welch letzterer erst durch die Napoleonischen Unruhen wieder verebbte. – Übrigens kann bei dieser Gelegenheit empfehlend auf unser Stadtmuseum hingewiesen werden. Was dort in verhältnismäßig kurzer Zeit durch emsigen Fleiß des betreffenden städtischen Beamten und die Unterstützung der Bürgerschaft zusammen gekommen ist, kann sich, so jung auch das Unternehmen ist, sehen lassen. Geräte und Gegenstände aller Art, Bilder aus allen Zeitläufen seit Bestehen der Stadt, Waffen, Bücher, Münzen, alte Schriften und Urkunden, Möbel und Handwerksgerät unserer Voreltern, Hausrat aus der „guten alten Zeit“, kurz alles mögliche, das in seiner Gesamtheit ein getreues Bild vergangener Zeiten darstellt, findet man hier vereint. Leider ist der Raum ein viel zu beschränkter, als daß das einzelne Stück voll zur Geltung kommen könnte. Sicher hat die Stadtverwaltung in absehbarer Zeit mit der Vergrößerung des Raumes zu rechnen. Ein Besuch ist aber auch jetzt schon jedermann zu empfehlen. Er ist kostenlos und muß nur vorher auf der Polizeiwache des Stadthauses gemeldet werden.

24.02.1912
Die Errichtung eines landwirtschaftlichen Gutes hat, wie wir hören, Herr Richard Scheer, Chemnitzerstraße, in Anlehnung an seine Scheune auf dem Pfaffenberge unweit des herrschaftlichen Steinbruches, geplant. Ein geräumiges Gebäude, das Wohn- und Vorratsräume und Stallungen enthalten soll, kommt südlich der Scheune, mit der Front nach der Stadt, zu stehen. Es wird mit seinem Flügelanbau und der dahinter liegenden Scheune den Gutshof umschließen, der nach Osten offen ist, gegen Westwinde aber durch den erwähnten Flügelanbau geschützt wird. Es ist erfreulich, zu sehen, wie die Aufschließung des Berges durch den Erzgebirgsverein erfreulichen Fortgang findet und auch, wie hier, Leute zu Siedlungen veranlasst, die erst inmitten ihrer Grundstücke zu vollem Erfolge kommen werden. Solche Unternehmen können ja nur erst gewagt werden, wenn an Hand von Beispielen die Siedelungsmöglichkeiten bewiesen ist.

25.02.1912
Herr Fabrikant Alfred Zwingenberger hat von der Stadt den größten Teil des an der König Albertstraße neben dem Kgl. Amtsgericht gelegenen Areals gekauft, um auf diesen eine Wirkwarenfabrik zu errichten. Man ist bereits mit dem Wegfahren des oberen Landes beschäftigt und wird schon in den nächsten Tagen mit den Ausschachtungsarbeiten beginnen.

Einen empfindlichen Verlust erlitt vorgestern gegen abend der Besitzer der „Roten Mühle“, Herr Otto Uhlig; dieser hatte seinen 13-jährigen Sohn beauftragt, von der hiesigen Sparkasse 100 Mark abzuheben. Als der Junge auf dem Heimweg begriffen war, spielten mehrere gleichaltrige Knaben auf dem Altstädter Schützenplatz Fußball. Der kleine Uhlig schloß sich den Spielern an und legte sein Portemonnaie mit den rund 100 Mark in Gold vorläufig auf den Erdboden, zur Sicherheit noch die Mütze darauf deckend. Als das Spiel beendet war und der Knabe das Geld wegnehmen wollte, war es verschwunden, irgendein Langfinger hatte es unterdessen gestohlen, während das Sparkassenbuch noch dalag. Hoffentlich sind die polizeilichen Recherchen nach dem Dieb von Erfolg.

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Januar 1912

03. Januar 1912
In der gewohnten schlichten Weise vollzog sich bei uns der Uebergang vom alten zum neuen Jahr. Als die Glocken von St. Christophori herab erklangen, hatte sich eine größere Anzahl Personen auf dem Altmarkt versammelt, die sich beim ersten Glockenschlag um 12 Uhr ein jubelndes Prosit Neujahr! Zuriefen. Eine Weile noch promenierte man auf dem Markte und dann verteilte sich die Menge in die Straßen, die sich bald belebten und von fröhlichen Zurufen widerhallten. In mehreren Fällen blieb es nicht bei dieser harmlosen Silvesterfreude. So machte sich in der ersten Nachtstunde polizeiliches Einschreiten in der Waisenhausstraße*1 nötig. Dort hatte ein Färbereiarbeiter einen Streit angefangen, der in Tätlichkeiten ausartete, wobei der Mann, der anscheinend an Tobsuchtsanfällen leidet, zu einem kräftigen Schlage ausholte, in seiner blinden Wut aber in ein Fenster geriet, das in Splitter ging. Der nächtliche Auftritt hatte natürlich eine größere Menschenansammlung zur Folge. Einen für den Beteiligten schlimmeren Verlauf nahm ein nächtlicher Zusammenstoß auf der Dresdner Straße in der Nähe des Lampertusschachtes. Ein auf der Heimkehr nach seiner Arbeitsstätte begriffener Bäckergeselle geriet mit anderen Silvesterfeiernden in Streit und es ward ihm bei den Tätlichkeiten, in deren Verlauf das Messer eine große Rolle spielte, arg zugesetzt. Der Bäcker erlitt Verletzungen durch Messerstiche; u.a. ward ihm ein Handgelenk derart zerschnitten, daß er sofort ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Der Verletzte wird sicher längere Zeit erwerbsunfähig bleiben.

05. Januar 1912
Ein steinerner Wegweiser fand gestern Aufstellung am Kreuzungspunkt der Bismarck-, Schiller- und Badstraße, er gibt die Richtungen und Entfernungen nach dem Bahnhof, nach Hermsdorf, Waldenburg, Glauchau und Chemnitz an. Sicher hat der Maler, der die schwarzen Schriftzeichen auf weißem Grunde anbrachte, sich von dem Bestreben leiten lassen, seinem Auftraggeber im vollsten Maße zu befriedigen und lieber etwas mehr schwarze Farbe zu verwenden; in seinem Uebereifer versah er sogar jede Zahl mit einem Punkt („Bahnhof 0,5. km“)

Ein bedauerlicher Unglücksfall trug sich gestern in einer in der Altstadt wohnenden Werkmeisterfamilie zu. Während die Mutter zu einer Versorgung für kurze Zeit die Wohnung verlassen hatte, stürzte das 3 ½ Jahre alte Töchterchen und fiel so unglücklich mit dem Oberschenkel in eine auf dem Fußboden stehende Kaffeetasse, daß die letztere zersprang und die Scherben dem Kind in Fleisch drangen. Das bedauernswerte Kind hat tiefe Wunden erlitten und mußten dieselben von einem sofort zu Rate gezogenen Arzt vernäht werden.

10. Januar 1912
Einen seltenen Gast beherbergt seit zwei Tagen die Böttgersche Webfabrik an der König-Alberstraße*2 , nämlich ein Rotkehlchen, das munter in den weiten Fabrikräumen umherfliegt. Gestern wurde dem Tierchen zweimal die Freiheit gegeben, aber es schien nicht damit einverstanden zu sein, denn es flog jedesmal wieder durch das Tor in die Fabrik ein. Vermutlich hat sich der Vogel durch die bis jetzt herrschende gelinde Witterung nicht bewogen gefühlt, mit nach dem Süden abzuziehen und flüchtete nun vor der plötzlich eingetretenen Kälte in die Fabrik.

11. Januar 1912
Heute Vormittag in der 11. Stunde konnte auf dem hiesigen Güterbahnhofe leicht ein größeres Unglück entstehen, das aber noch glücklicherweise durch die Aufmerksamkeit des Lokomotivführers vom Sammelgüterzug Nr. 7018 verhütet wurde. Genannter Zug fährt auf hiesiger Station auf das Nebengleis an der Güterabladestelle. Das Geschirr der Bleicherei Hüttengrund hatte auf dem Bahnhofe baumwollene Webwaren geladen und wollte abfahren, als plötzlich der schwerbeladene Wagen infolge der Glätte rutschte und mit den Pferden auf das Nebengleis, auf dem der Zug dahergefahren kam, zu stehen kam. Der Zusammenstoß wäre unvermeidlich gewesen, wenn nicht der Lokomotivführer den Zug noch rechtzeitig zum Stehen brachte. Nach längerem Bemühen konnte erst mit Beistand hilfsbereiter Leute und durch Legen von Deckender schwere Bleichereiwagen aus dem Gleis gebracht werden.

17. Januar 1912
Heute morgen in der 8. Stunde fanden Stationsarbeiter in der Nähe des „Logenhauses“ beim Zeichen 973 96 DW. die verstümmelte Leiche eines Knaben, der den Kopf und der rechte Arm abgefahren war. Wie sich aus Notizen ergab, die der unglückliche Knabe in einem Briefe verzeichnet hatte, handelt es sich um den dreizehnjährigen Sohn Max des in Oberlungwitz wohnhaften und in einer hiesigen Fabrik beschäftigten Strumpfwirkers Sch. Der Knabe soll sich als Laufbursche kleine Unredlichkeiten haben zuschulden kommen lassen und der Umstand, daß andere Kinder im Orte von den Verfehlungen sprachen, ließ in ihm den Entschluß reifen, allen Folgen dadurch aus dem Wege zu gehen, daß er seinem Leben freiwillig eine Ziel setzte. In dem Notizbuche machte er noch Mitteilungen von seinem unseligen Entschluß und nahm Abschied von Vater, Mutter und Großmutter. Den bedauernswerten Eltern, die brave Leute sind, wendet sich allgemeine Teilnahme zu.

Ein böser Streich wurde gestern einem auf der Moltkestraße*3 wohnenden Hauswirt gespielt. Dort hatte ein Mieter seine Wohnung zwangsweise räumen müssen. Als nun der Hauswirt die verlassenen Räume betrat, machte er die Wahrnehmung, daß der Mieter die Wohnräume sämtlich mit Carbolineum bestrichen hatte. Es war kein Meter Wand vorhanden, der nicht einen Teil des übelriechenden Zeuges enthalten hatte. Der Mieter hatte die Substanz mit einem starken Pinsel aufgeschmiert und sogar die Fensterrahmen nicht verschont. Gestern weilten bereits einige Vorstandsmitglieder des Hausbesitzervereins dort, um eine Besichtigung vorzunehmen. Der Wirt hat Strafantrag gestellt und dieser Spaß dürfte dem freundlichen Mieter etwas teuer zu stehen kommen. Um die Wohnung wieder in bewohnbaren Zustand setzen zu lassen, dürfte dem Hauswirt eine Ausgabe von schätzungsweise 150 Mk. entstehen. Das schönste bei der Sache war aber noch, daß bereits gestern nachmittag der neue Mieter aus einem umliegenden Dorfe mit seiner Habe erschien, um die Wohnung zu beziehen. Natürlich konnte er nicht hinein.

21. Januar 1912
Auf die kürzlich unter der Spitzmarke „Ein böser Streich“ veröffentlichte Mitteilung übermittelt uns Herr Tiefbauunternehmer Enzmann eine Rechtfertigung, in der u.a. gesagt wird, daß er zur Verwendung des Karbolineums gezwungen gewesen sei, einmal um sich event. Vor Ungeziefer zu schützen, zum anderen aber, um ein Gegenmittel gegen üble Abortgerüche zu haben. Er behauptete ferner, daß er die Absicht gehabt habe, ohne Anwendung irgendwelchen gesetzlichen Zwanges die Wohnung wieder instand setzen zu lassen, und wendet sich gegen die Unterstellung, daß die Räumung der Wohnung eine zwangsweise gewesen sei.

25. Januar 1912
In einem Geschäftszimmer des hiesigen Rathauses benahm sich ein Eisendreher aus Bernsdorf b. Ch. derart ungebührlich, daß er energisch zur Ruhe ermahnt werden mußte, Einsicht scheint aber seine schwache Seite zu sein, denn solche Vorstellungen fruchteten gar nicht, im Gegenteil ward der Mann so ausfällig, daß nichts weiter übrig blieb, als ihn in Haft zu nehmen.

*1 Waisenhausstraße = heute: Herrmannstraße
*2 König-Albertstraße = heute: Conrad-Clauß-Straße
*3 Moltkestraße = heute: Immanuel-Kant-Straße

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Dezember 1913

2. Dezember 1913
In einem Hüttengrunder Restaurant gerieten am Sonnabend abend aus kleinlicher Ursache einige Männer aus dem Hüttengrund in Streit. Derselbe artete soweit aus, daß bald eine Schlägerei im Gange war, wobei einige der beteiligten erhebliche Verletzungen erlitten. Unter anderem soll einer der Beteiligten auch einen Biß erhalten haben. Dem Wirt, der den Streit zu schlichten suchte, wurden dabei Gegenstände demoliert.

5. Dezember 1913
Als gestern der Besitzer von „Stadt Dresden“ auf kurze Zeit die Gaststube verlassen hatte, hörte er in einem anderen Raume, daß ein Gast das Zimmer betrat. Als er selbst zur Bedienung erschien, bemerkte er niemanden, vermißte aber, als ein späterer Gast erschien, eine eben angebrochene Kiste Zigarren. Zufällig revidierte bald danach ein Schutzmann, der von dem Diebstahl Kenntnis erhalten, eine Herberge und fand die ganze Gesellschaft behaglich schmauchend vor. Spender der Zigarren war ein gewisser Beyer aus Burgstädt, der auf Vorhalten auch bald eingestand, den kühnen Griff in der Gaststube getan zu haben. Aus der Kiste fehlen etwa ein Dutzend Zigarren, die der Wirt jedenfalls gern verschmerzen wird. Der Langfinger bezog Staatspension“.

10. Dezember 1913
Ade – Rodelbahn! Dein Schicksal ist fürs erste besiegelt. Statt der erhofften weiteren Fülle weißer Flocken stellte sich Regen ein. Wer gestern abend im Freien war, konnte feststellen, daß zunächst noch der Wind ziemlich kalt wehte, aber mit seiner zunehmenden Stärke ward auch eine langsame, doch stetige Erwärmung der Temperatur bemerkbar, die uns nun den unerwünschten Regen brachte, der heute früh mit einzelnen Graupeln vermischt war. So sind denn die Freuden der Wintersportler recht kurze gewesen.

19. Dezember 2013
Nun geht’s mit Riesenschritten aufs Fest zu, aber noch immer will keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen angesichts des ganz und gar kalenderwidrigen Wetters, das uns noch nicht das rechte Maß von Schnee und Kälte gebracht hat, die doch eigentlich zu einem richtigen Weihnachten gehören wie der Stollen zum Festkaffee. Kein Wunder darum, daß unsere Geschäftsleute die ganze Woche klagen über anhaltende Leere in den Läden. Aussicht auf winterliches Wetter ist aber vorhanden. Hoffentlich bringen die letzten Tage vor dem Feste noch den ersehnten Goldstrom, auf den ja jeder Geschäftsmann schon lange Zeit vorher rechnet und rechnen muß. Im folgenden beschließen wir unseren diesjährigen Weihnachtsrundgang durch die Geschäfte der Stadt.
Eine großstädtische Auswahl unterhält Uhrmachermeister Kurt Reinhold, Dresdner Straße 28. Wir finden hier Knaben-Uhren, schwer goldne Omega-Uhren, feinste Präzisionswerke, Haus-, Wand- und Küchen-Uhren; Goldwaren: Nadeln, Broschen, Knöpfe, Ringe, Ketten; optische Waren, Grammophone usw.
Was ein Parfümerie-Geschäft an Neuheiten dem Publikum bietet, findet man bei J. M. Jeschwitz, Dresdner Straße 11, Tel. 364: alle Arten Schönheitsmittel, Haarersatzteile in- und ausländische Parfüms und Toilette-Seifen, Kamm- und Bürsten-Garnituren, Wellen- und Locken-Eisen, Haarschmuck in jeder Ausführung usw.
Außerordentlich leistungsfähig in seinen verschiedenen Abteilungen ist das Kaufhaus S. Rosenthal u. Co., Ecke Weinkeller- und Konrad Clauß-Straße, das erst ganz bedeutend vergrößert wurde und nun in der Lage ist, gegen früher ein viel größeres Lager unterhalten zu können. Wir finden hier Wäsche aller Art und in der verschiedensten Ausführung, Wäschestoffe, Kleiderstoffe und modernste Mäntel, Kostüme u. dergl. Trikotagen und Wollwaren, Handschuhe und Strümpfe, Gardinen und Decken , Knabenschwitzer- und Anzüge, weiße Herrenwäsche, Herrenwesten und- Hüte, Mützen, Taschen, Gürtel, Schürzen Korsetts, Boas, Unterröcke, fertige und vorgezeichnete Handarbeiten, Albums zu verschiedenen Zwecken, Brieftaschen, Portemonnaies und Hunderterlei andere nützliche Dinge.
Maßgebend bei Beschaffung bürgerlicher Wohnungseinrichtungen ist das Geschäft von Louis Wappler, Bau- und Möbelfabrikation, Weinkellerstraße 12. Die Firma ist vorteilhaft bekannt durch Lieferung nur bester Tischlerarbeit und empfiehlt sich zum Feste für den Kauf von Einzel-Gebrauchs- und Luxusmöbel aller Art.
Das Möbelhaus von Karl Vogel, Tapezier- und Polstermeister, Chemnitzer Straße, am Neumarkt, unterhält ein riesenhaftes Lager in Schränken, Tischen, Matratzen, Sofas, Spiegeln, Sofagestellen, Plüschen usw. Ausstattungen kauft man hier schon von 150 Mk. an.
Schuhe und Stiefel jeder Machart von den einfachsten bis zu den feinsten empfiehlt das Schuhwarenhaus Paul Winkler, Teichplatz 2. Besonders in Winter-Fußbekleidung ist das Lager groß. Die Preise sind wie bekannt billig.

20. Dezember 1913
Ein folgenschwerer Unfall wurde auf der Eisenbahnstrecke in der Nähe der Antonstraße verhütet. Ein Weichensteller hatte zufällig bemerkt, daß auf dem Ausfahrtsgleis nach Wüstenbrand ein Stück Schiene ausgebrochen war. Den 2014 Uhr ausfahrenden Personenzug konnte er noch kurt vor der schadhaften Stelle zum Stehen bringen. Nach 15 Minuten Verspätung fuhr der Zug dann auf dem anderen Gleis aus, während Streckenarbeiter eine neue Schiene einsetzten.

28. Dezember 1913
Unsere Rodelbahn am Nordanhange des Pfaffenberges war am zweiten Feiertage im vollen Betrieb, der sich bis in den Abend hinein, wo Laternen bis an den Wald ihren Weg bezeichneten, erhielt Jung und alt konnten sich voll am gesunden Sport vergnügen und sie ließen sich, ebenso wie die Zuschauer, vom naßstürmischen Wetter, das auf dem Berge besonders bemerkbar war, nicht stören. Gab es doch in der Sporthütte einen warmen Schluck und Imbiß, die wenn nötig vom Hüttenwirt mit einem kräftigen Humor gewürzt wurden. Leider ist die Luft wieder einmal zu Wasser geworden, und es bleibt wieder nur die Hoffnung, daß es den Launen unseres Wettergottes gefällt, zwischen den anderen Gaben auch einen dauerhaften Schneewinter zu bescheren. Daß sich dann ein Sportleben wie nirgendwo anders entwickeln wird, zeigte der gestrige Anfang.

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November 1913

2. November 1913
In der Bewirtschaftung des Neustädter Schützenhauses, daß der Dampfbrauerei Heilmann gehört, tritt heute eine Veränderung ein. Der bisherige Pächter Herr Staudte übernimmt in Chemnitz das „Cafe Brühl“ und die Bewirtschaftung des Schützenhauses übernimmt Herr Knoll, der seitherige Pächter des Gasthauses „Zur Linde“ hier.

Im Bestehen unseres Bethlehemstiftes im Hüttengrund trat soeben wieder eine Zeit der Ruhe ein. In diesem Sommer war der Besuch und die Nachfrage nach Plätzen wieder stark, so daß nicht alle Ansprüche erfüllt werden konnten. Die letzte diesjährige Abteilung Kinder verließ am Donnerstag in Begleitung des Anstaltspersonals das Stift, um, gestärkt an Körper und Geist, die Heimreise anzutreten. Das Stift wird nun bis März 1914 geschlossen.

5. November 1913
Ein Obersteiger mit einigen Bergleuten aus Zwickau waren in letzter Zeit damit beschäftigt, in den Haupttagesschacht des Lampertusschachtes drei Bühnen aus Holzkohlen einzubauen. Den Abschluß macht ein Ziegelgewölbe, das durch zwei städtische Mauerer 6 Meter unter der Erdoberfläche eingebaut wird. Bis an die Erdoberfläche wird der Schacht vom Gewölbe ab mit Erdmassen ausgefüllt. In dem erwähnten Schacht steht das Grundwasser 90 Meter hoch. Den einzigen Zugang zum Lampertusschacht bildet nun nur noch ein im Fuchsgraben liegender Stollen, durch welchen auch der Ueberlauf des obengenannten Wassers geführt, am Ausgang in Röhren gefaßt und nach und nach der Stadt geleitet wird, die es an verschiedene Konsumenten verteilt.

08. November 1913
Eine komische Szene, die allerdings für den Betroffenen von einer anderen Seite betrachtet wurde, spielte sich heute vormittag an der unteren Weinkellerstraße ab. Dort hielt ein Grünwarenhändler mit einem Handwagen, der mit allerhand eßbaren Sachen beladen war. Während nun der Besitzer nochmals in seine Wohnung zurückkehrte, mochte der Zughund Langeweile verspürt haben, denn er rückte plötzlich ohne Führer ab, jedoch so ungeschickt daß er beim Lichtspieltheater an das Schnittgerinne anfuhr und der Wagen im selben Moment umstürzte, wobei natürlich die Aepfel, Birnen, Kraut und sonstigen Leckerbissen im lieblichen Durcheinander auf die Straße und den Fußsteig flogen. Dem Tier selbst wurde es Angst, da es unter all den Herrlichkeiten lag. Es hielt nicht eher Ruhe, bis es sich unter den Körben hervorbemüht hatte, und erwartete mit eingezogenem Schwanz die Anmut des Herrn. Prügel gab es aber glücklicherweise nicht.

09. November 1913
Der bei der Firma Eduard Beckert seit über 35 Jahren arbeitende Packmeister Herr Emil Fritzsche erhielt vom Kgl. Ministerium des Innern das tragbare Ehrenzeichen für Treue in der Arbeit. Dem bei derselben Firma bediensteten Geschirrführer Herrn Herrmann Beier und dem von der Firma F. W. Hermann Nachf. und ihrer Vorgängerin beschäftigten Scherer Herrn Karl Ludwig Wolf verlieh die Stadtverwaltung das Ehrendiplom für 25jährige ununterbrochene Tätigkeit in ein und demselben Arbeitsverhältnisse. Die Auszeichnungen wurden heute vormittag im Beisein der Herren Arbeitgeber durch Herrn Bürgermeister Dr. Patz unter entsprechenden Glückwünschen an Ratsstelle ausgehändigt.

12. November 1913
Eine höchst rohe Tat verübte gestern im Hüttengrund ein dort wohnender 13 Jahre alter Schulknabe. Derselbe geht nach Indianerart mit spitz gemachten Pfeil und Bogen umher und verübt damit allerhand Unfug. So ging gestern ein vierjähriges Mädchen eines auf Kuhschnappler Anteil wohnenden Wirkers zu ihren Großeltern, in ihrer Begleitung ein Hund. Der rohe Bengel lockte den wertvollen Hund an sich und schoß ihm ins Auge, sodaß es sofort zerstört wurde. Die Range hat mit diesem Pfeil auch schon nach kleineren Kindern geschossen, sodaß es als Wunder zu betrachten ist, daß noch kein Unglück passierte. Gegen den Knaben wurde Anzeige erstattet.

13. November 1913
Ein dreister Diebstahl wurde gestern auf der Bahnstraße ausgeführt. Das kleine sechsjährige Töchterchen der Familie Wehrenpfennig war beauftragt, in einem Geschäft auf der Bahnstraße Einkäufe zu besorgen. Auf dem Wege dorthin gesellte sich ein etwa 13 Jahre altes Mädchen zu ihr, welches sie frug, ob sie nicht ein 10 Pfg. –Stück habe. Als dies von der Kleinen verneint wurde, riß sie derselben das Geldsäckchen aus der Hand, entnahm das darin befindliche 3 Mark-Stück und verschwand. Hoffentlich gelingt es, die Täterin recht bald dingfest zu machen und ihrer Strafe zuzuführen.

14. November 1913
Nachdem die letzten Zeugen des ehemals in unserer Stadt blühenden Erzbergbaues mehr und mehr verschwinden, ist es angebracht, einmal darauf hinzuweisen, daß der Erzbau hier vor hundert Jahren durch die napoleonischen Kriegsunruhen eine Zeitlang in Verfall und zum Stillstand kam. Im Jahre 1804 fuhren beim hiesigen Bergamte, zu dem der ganze schönburgische Bezirk gehörte, gegen 50 Mann an. Die folgenden Jahre brachten aber allmählich durch die Kriegsunruhen und sonstige Umstände den gänzlichen Verfall des Bergbaues in unserer Gegend. Viele Jahre ruhte der Betrieb. Er wurde erst in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder aufgenommen. Gegraben wurden hauptsächlich Arsenikerze. Von 1831 bis 1877 wurden aus den hiesigen Gruben 40937 Zentner Arsenkiesstufwerk und 1744 ¾ Zentner Schwefelkiesstufwerk zum Preise von 62955 Mark an auswärtige Hüttenwerke abgegeben. Weiter wurden noch in dieser Zeit 2535 Zentner Arsenkies mit Teilen von Gold, Silber und Kupfer im Betrage von 5686 ½ Mark an die Freiberger Hüttenwerke abgegeben.

23. November 1913
Ein Dampfkessel-Ungetüm, das wohl seine 12 Meter Länge messen konnte, etwa 600 Zentner schwer war und aus der Dampfkesselfabrik Julius Marx in Chemnitz stammt, wurde heute vormittag durch unsere Stadt nach der Bleicherei Hüttengrund befördert. Der Transport begann heute früh 5 Uhr in Chemnitz und langte gegen 11 Uhr vormittags an der Stadtgrenze an, nachdem man in Wüstenbrand kurze Rast gehalten hatte. Innerhalb der Stadt gestaltete sich die Beförderung weniger schwierig, die 20 Pferde zogen den Koloß, der allerdings auf dem Straßenpflaster sichtbare Spuren hinterließ, mit Leichtigkeit; vom „Goldenen Ring“ bis zum Altmarkt konnten sogar zwölf Pferde entbehrt werden. Aber in der Nähe der Redslobschen Fabrik widerfuhr dem Transport ein Missgeschick: eine Achse war heißgelaufen und es machte sich ein längerer Aufenthalt nötig. Nach fast dreistündiger Pause fuhr man die Lerchenstraße entlang und nahm den Weg von der Eisenbahn-Überführung die steile Talstraße hinab.

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Oktober 1913

3. Oktober 1913
Eine ehrende Auszeichnung wurde gestern dem hier auf der Schubertstraße wohnenden Postillon Herrn Grimm zuteil. Herr Grimm hatte am 1. September, als König Friedrich August mit seinem Gefolge durch Oberlungwitz zu tun. Als das königliche Auto nahte, begrüßte Herr den Monarchen, indem er auf seinem Posthorn das Lied „Den König segne Gott“ blies. Der Monarch und seine Begleiter dankten von dem Wagen aus Herrn Grimm für die musikalische Begrüßung. Als dann der Monarch nach Dresden zurückkehrte, ließ er Erkundigungen nach dem Postillon einziehen. Gestern nachmittag erschien nun auf dem hiesigen Postamt Herr Geheimrat Richter von der Oberpostdirektion Chemnitz und dankte im Auftrage des Königs Herrn Grimm in Gegenwart des Herrn Postdirektors Seidel für die bewiesene Aufmerksamkeit. Gleichzeitig wurde Herrn Grimm mitgeteilt, daß ihm der Monarch ein Geschenk überlassen werde.

4. Oktober 1913
Noch gut abgelaufen ist ein Vorgang, der sich heute vormittag auf der Breitestraße abspielte. Auf der Straße, gegenüber der Fabrik von Gruber, stand ein großer leerer Kastenagen, einem dortigen Geschäftsmann gehörig, an welchem sich mehrere Knaben zu schaffen machten. Plötzlich drehte einer der Knaben das Schleifzeug am Wagen auf und das schwere Gefährt sauste die abschüssige Straße hinab, wo es dann an das Böttgersche Geschäftshaus anprallte und von da an das Pothornsche Haus stieß, wo die Mauer beschädigt wurde. Auch wurde die Deichsel abgebrochen. Sonst kam glücklicherweise niemand zu Schaden.

5. Oktober 1913
Die Karlstraße, die älteste Straße und zugleich die frühere Hauptstraße Hohensteins zu einer Zeit, als der mittlere und untere Teil der jetzigen Altstadt noch nicht bebaut war, unterliegt gegenwärtig einer durchgreifenden Erneuerung der oberen Fahrbahndecke. Das alte Pflaster, das manches Jahrzehnt regen Verkehrs über sich ergehen ließ und gerade an dieser Stelle am besten bewies, daß gepflasterte Straßen am Ende die billigsten sind, wird entfernt und neues tritt an seine Stelle. Die Straße, die ihren Namen darum erhielt, daß einst Karl der Zwölfte von Schweden auf ihr seinen Durchzug durch Hohenstein bewerkstelligte, vermittelte einst den Verkehr zwischen Glauchau und Chemnitz. Dieser Verkehr muß ein recht reger gewesen sein, denn er war nicht blos Durchgangsverkehr, sondern er wurde bereichert und vermehrt durch den Bergbau und den Gewerbefleiß der Stadt. Manche Tonne Erz der Bergleute und später manches „Stück“ Tuch der Weber mag auf ihr den Weg ins Land gefunden haben. Daß die Karlstraße die Hauptstraße war, beweist auch der Umstand, daß das frühere Webermeisterhaus, das jetzige Petersiliesche Haus, an ihr errichtet wurde. Der Schlußstein am Torbogen dieses Hauses zeigt die Grafenkrone und das Jahr seiner Erbauung, 1787. Sicher werden Neuerungen, die von den Anwohnern seit langem herbeigesehrt wurden, der alten Verkehrsader vermehrtes reges Leben bringen, umsomehr, als von ihr die Hauptzugänge zum Bergwald, das Silbergäßchen, der Seidelberg- und der Meinsdorfer Weg abgehen.

8. Oktober 1913
Heute Vormittag verließ ein Untermieter auf der König Alberstraße seine Wohnung, ohne die Miete bezahlt zu haben. Zum Ueberfluß hatte er einem Lehrling im selben Hause die Uhr und einen Regenschirm gestohlen; jedoch wurde er von seinen Wirtsleuten wieder eingeholt und in die Wohnung zurückgebracht, von wo er in polizeiliches Gewahrsam genommen wurde. Es handelt sich um einen früheren Schreiber, jetzigen Bücherboten namens Friedrich Meister aus Zwickau.

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September 1913

2. September 1913
Als gute Kletterer produzierten sich gestern nachmittag einige auswärtige Feuerwehrleute auf der Schützenstraße. Sie holten einen im 1. Stockwerk angebrachten kunstvoll hergestellten Feuerwehrmann, der dort als Schmuckstück aufgestellt war, von der Mauer herab. Dann erkletterten sie die vor dem Schützenplatz stehende mehrere Meter hohe Ehrenpforte und befestigten diese Figur dort oben auf der äußersten Spitze. Doch nicht genug damit. Sie holten noch einen zweiten „imitierten“ Feuerwehrmann von einem Hause der Schützenstraße weg und stellten auch diesen mit auf der Ehrenpforte auf. Der Vorgang hatte natürlich ein zahlreiches Publikum angelockt, das den kühnen Kletterern Beifall spendete. Zum Glück verlief der übermütige Streich ohne Unfall. Am Abend erschienen dann die Besitzer der ausgestopften Feuerwehrleute mit einer Leiter an der Ehrenpforte und holten die Schaustücke herunter.

6. September 1913
Schweren Kummer bereitet durch seinen verbrecherischen Lebenswandel ein junger Mann seinen hier wohnenden allerseits geachteten Eltern. Der 20jährige Handlungsgehilfe Eugen Willy R., der wegen hier und in Chemnitz verübter Betrügereien schon bestraft wurde, ist abermals auf schlimme Abwege geraten. In einem hiesigen Goldwarengeschäft wußte er durch Schwindeleien drei Ringe und einen Golddubleeklemmer, in einem anderen Geschäft je ein Paar Chevreaux- und Borcalf-Stiefel und bei einem Schneidermeister zwei Anzüge zu erschwindeln. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Betrüger versucht, auch noch andere Geschäftsleute hineinzulegen; es sei deshalb vor ihm gewarnt. R. trägt modefarbigen Paletot, olivgrünen Jackettanzug und gelben flachen Strohhut.

12. September 1913
Wer sich über Druckfehler aufhält, möge beherzigen: Druckfehler sind Irrtümer, die weder der Setzer noch der Korrektor entdeckt, sondern nur der Leser. Während manche Völker für die Fehler der Regierung büßen müssen, muß für den Druckfehler seines Blattes, den er nicht gemacht hat, der Redakteur büßen, und zwar doppelt: erstens ärgert er sich selbst und dann ärgern ihn sieben gescheite Leser. Druckfehler gehören zu den unvermeidlichen Eigenschaften jedes Druckerzeugnisses, das in fliegender Eile und Hast hergestellt werden muß: sie verhalten sich wie Rost zum Eisen, wie die Hefe zum Wein, nur mit dem Unterschied, daß vor dem Druck noch niemand weiß, ob sie fehlen oder ob sie da sein werden. Mancher Satz wird überhaupt erst lesenswert durch einen Druckfehler. Der Redakteur freilich kann davon sagen: „Nur wer die Praxis kennt, weiß, was ich leide!“ Solange musiziert und gesungen wird, wird es falsche Töne, solange geschrieben und gedruckt wird, wird es Schreib- und Druckfehler geben; es scheint ein alter Kalenderreim am besten darauf zu passen:

„Gib, Leser, nicht so scharf auf alle Fehler acht,
Denn niemals ist ein Blatt und der, der es gemacht,
Und der, der es gelesen,
Von allen Fehlern frei gewesen.“

18. September 1913
Vor rohen Burschen hat nichts Ruhe! Der Besitzer des „Bergmannsgruß“, Herr Nestler, hatte auf dem Pfaffenberg am Pleißaer Weg einen eisernen Wegweiser anbringen lassen mit der Aufschrift „Nach dem Bergmannsgruß“. Vor kurzer Zeit nun wurde dieser Wegweiser demoliert. Die starke eiserne Stange hat man, da sie nicht brach, verbogen und die am Schild angebrachten Namen durch Abschlagen der Glätte unleserlich gemacht. Wünschenswert wäre es, wenn man derartige Rüpel zur Bestrafung bringen könnte.

19. September 1913
Ein bedauerlicher Unfall trug sich im Ortsteil Hüttengrund zu. Eine dort zur Sommerfrische weilende 16 Jahre alte Kontoristin aus Leipzig sammelte unweit des Bethlehemstiftes im Hainholz Pilze, stürzte über eine Wurzel und fiel so unglücklich, daß sie einen schweren Bruch des linken Unterarmes davontrug. Herr Dr. Sommer leistete der Verunglückten die erste Hilfe. Der Unfall soll eine Folge des modernen engen Rockes sein.

20. September 1913
In einem Hause der Landgrafsstraße*1 war gestern abend gegen 10 Uhr in einer Wohnung ein Feuer entstanden, dem die Fenstervorhänge und sonstiges zum Opfer fielen. Zum Glück wurde das Feuer von vorübergehenden Personen bemerkt und die Bewohner, die wahrscheinlich schon zur Ruhe gegangen waren, aufmerksam gemacht. Doch konnten die vor dem Hause stehenden Leute nicht eindringen, da die Haustür verschlossen war und erst durch Einschlagen Zutritt erlangt wurde. Ehe er größeren Schaden angerichtet hatte, wurde der Brand von den Bewohnern gelöscht.

25. September 1913
Gestern starb hier einer der ältesten Einwohner unserer Stadt, der im Kirchgäßchen wohnende 85 Jahre Webergehilfe Hermann Müller. Mit ihm ist ein altes Original aus unserer Bevölkerung dahin gegangen. Er war treu und schlicht und allgemein beliebt und geachtet und hielt fest an dem Althergebrachten. Müller war fast bis an sein Lebensende gesund und rüstig und hatte nie eine Krankheit gehabt. In ihm verliert auch die hiesige Weberinnung den ältesten Webergehilfen, denn er gehörte der Innung 68 Jahre als eingetragener Gehilfe an.

2. September 1913
Der Besuch des Königs.
Königswetter. Wahrlich, unsere Stadt und Gegend muß bei den himmlischen Wettermachern gut angeschrieben stehen. Langsam, aber sicher ging in den letzten tagen das Barometer herunter und die schlimmsten Befürchtungen wurden wach, ob wir nicht vor einer neuen Regenperiode stünden und der besuch unseres Landesherrn durch das himmlische Naß gestört würde. Aber strahlend stieg heute morgen die Sonne am östlichen Horizont empor, rotgolden glänzten einige weiße Wölkchen und im frischen, kühlen Morgenwinde blähten sich Fahnen und Girlanden, die Herrlichkeit und Schöne des Tages kündend. Schon vom frühen Morgen an regte sich alles in unsrer Stadt, um sich auf die Königsfeier vorzubereiten; die Kinder unserer Schulen versammelten sich, festlich gekleidet mir Schärpen in den Landesfarben, Sträußchen im Haar und die Mädchen zumeist in weißen Kleidern, die Vereine zogen auf, um Spalier zu bilden und überall auf den Straßen, die Se. Majestät passierte, sammelten sich Laufende, um dem König ihre Huldigung darzubringen. Pünktlich 9.37 Uhr lief der königliche Sonderzug auf dem hiesigen Bahnhofe ein, wo sich, da keinerlei Empfang befohlen war, die Herren Bürgermeister Dr. Paß und als Vertreter der Amtshauptmannschaft Regierungshauptmann v. Gehe–Glauchau meldeten. Das Töchterchen Brigitte des Herrn Dr. Paß überreichte Sr. Majestät beim Betreten des Bahnsteigs ein aus La France- und Schneeköniginrosen gewundenes und mit einem Bande in den Landesfarben geschmücktes Bukett, indem es den Monarchen dabei mit folgenden Worten begrüßte:

Herr König, in ganz Sachsenland
Seid Ihr als Kinderfreund bekannt,
Drum nehmt aus wahrem Herzensgrund
Den ersten Gruß von Kindermund.

Willkommen auf dem „Hohen Stein“!
Bescher Euch Gott stets Sonnenschein,
Steh’ Euch auch bei mit Heil und Rat
Und segne Eurer Kinder Pfad!

Se. Majestät freute sich herzlich über die kindliche Huldigung und dankte freundlich für den Strauß. Der König ging dann durch das Vestibül, wo die Beamten des Bahnhofes Aufstellung genommen hatten, auf den Vorplatz, wo die Fahnen unserer Vereine den Herrscher des Landes begrüßten. Im Gefolge Sr. Majestät befanden sich die Herren Minister des Innern Graf Bißthum v. Eckstädt, Oberstallmeister v. Haugk, Generaladjutant Generalmajor v. Tettenborn, Kreishauptmann Lossow, Geh. Regierungsrat Heink und Flügeladjutant v. Könneritz. Auf dem Wege durch die Moltkestraße*2 nach dem Rathause, den der König im Auto zurücklegte, während die Autos Herrn Kreishauptmanns und des Herrn Bürgermeisters voranfuhren, bildeten die Militärvereine Schützengesellschaften und die Feuerwehr Spalier, umsäumt von einer dichten Menschenkette, die mit unaufhörlichen Hochrufen den Herrscher begrüßte. Auf dem Markte hatten die Damen des Kornblumentages Reihen gebildet und wieder bereiteten hier Ungezählte dem König lebhafte und freudige Huldigungen. Unter Führung des Herrn Bürgermeisters begab sich Se. Majestät durch den östlichen Seiteneingang des Rathauses nach dem Stadtverordnetensaale, wo die Huldigung der Bürgerschaft vor sich ging.

Josefine Meisch, Auszubildende Stadtverwaltung

*1 Landgrafstraße = heute Ziegenberg
*2 Moltkestraße = heute Immanuel-Kant-Straße

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