September 1913

2. September 1913
Als gute Kletterer produzierten sich gestern nachmittag einige auswärtige Feuerwehrleute auf der Schützenstraße. Sie holten einen im 1. Stockwerk angebrachten kunstvoll hergestellten Feuerwehrmann, der dort als Schmuckstück aufgestellt war, von der Mauer herab. Dann erkletterten sie die vor dem Schützenplatz stehende mehrere Meter hohe Ehrenpforte und befestigten diese Figur dort oben auf der äußersten Spitze. Doch nicht genug damit. Sie holten noch einen zweiten „imitierten“ Feuerwehrmann von einem Hause der Schützenstraße weg und stellten auch diesen mit auf der Ehrenpforte auf. Der Vorgang hatte natürlich ein zahlreiches Publikum angelockt, das den kühnen Kletterern Beifall spendete. Zum Glück verlief der übermütige Streich ohne Unfall. Am Abend erschienen dann die Besitzer der ausgestopften Feuerwehrleute mit einer Leiter an der Ehrenpforte und holten die Schaustücke herunter.

6. September 1913
Schweren Kummer bereitet durch seinen verbrecherischen Lebenswandel ein junger Mann seinen hier wohnenden allerseits geachteten Eltern. Der 20jährige Handlungsgehilfe Eugen Willy R., der wegen hier und in Chemnitz verübter Betrügereien schon bestraft wurde, ist abermals auf schlimme Abwege geraten. In einem hiesigen Goldwarengeschäft wußte er durch Schwindeleien drei Ringe und einen Golddubleeklemmer, in einem anderen Geschäft je ein Paar Chevreaux- und Borcalf-Stiefel und bei einem Schneidermeister zwei Anzüge zu erschwindeln. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Betrüger versucht, auch noch andere Geschäftsleute hineinzulegen; es sei deshalb vor ihm gewarnt. R. trägt modefarbigen Paletot, olivgrünen Jackettanzug und gelben flachen Strohhut.

12. September 1913
Wer sich über Druckfehler aufhält, möge beherzigen: Druckfehler sind Irrtümer, die weder der Setzer noch der Korrektor entdeckt, sondern nur der Leser. Während manche Völker für die Fehler der Regierung büßen müssen, muß für den Druckfehler seines Blattes, den er nicht gemacht hat, der Redakteur büßen, und zwar doppelt: erstens ärgert er sich selbst und dann ärgern ihn sieben gescheite Leser. Druckfehler gehören zu den unvermeidlichen Eigenschaften jedes Druckerzeugnisses, das in fliegender Eile und Hast hergestellt werden muß: sie verhalten sich wie Rost zum Eisen, wie die Hefe zum Wein, nur mit dem Unterschied, daß vor dem Druck noch niemand weiß, ob sie fehlen oder ob sie da sein werden. Mancher Satz wird überhaupt erst lesenswert durch einen Druckfehler. Der Redakteur freilich kann davon sagen: „Nur wer die Praxis kennt, weiß, was ich leide!“ Solange musiziert und gesungen wird, wird es falsche Töne, solange geschrieben und gedruckt wird, wird es Schreib- und Druckfehler geben; es scheint ein alter Kalenderreim am besten darauf zu passen:

„Gib, Leser, nicht so scharf auf alle Fehler acht,
Denn niemals ist ein Blatt und der, der es gemacht,
Und der, der es gelesen,
Von allen Fehlern frei gewesen.“

18. September 1913
Vor rohen Burschen hat nichts Ruhe! Der Besitzer des „Bergmannsgruß“, Herr Nestler, hatte auf dem Pfaffenberg am Pleißaer Weg einen eisernen Wegweiser anbringen lassen mit der Aufschrift „Nach dem Bergmannsgruß“. Vor kurzer Zeit nun wurde dieser Wegweiser demoliert. Die starke eiserne Stange hat man, da sie nicht brach, verbogen und die am Schild angebrachten Namen durch Abschlagen der Glätte unleserlich gemacht. Wünschenswert wäre es, wenn man derartige Rüpel zur Bestrafung bringen könnte.

19. September 1913
Ein bedauerlicher Unfall trug sich im Ortsteil Hüttengrund zu. Eine dort zur Sommerfrische weilende 16 Jahre alte Kontoristin aus Leipzig sammelte unweit des Bethlehemstiftes im Hainholz Pilze, stürzte über eine Wurzel und fiel so unglücklich, daß sie einen schweren Bruch des linken Unterarmes davontrug. Herr Dr. Sommer leistete der Verunglückten die erste Hilfe. Der Unfall soll eine Folge des modernen engen Rockes sein.

20. September 1913
In einem Hause der Landgrafsstraße*1 war gestern abend gegen 10 Uhr in einer Wohnung ein Feuer entstanden, dem die Fenstervorhänge und sonstiges zum Opfer fielen. Zum Glück wurde das Feuer von vorübergehenden Personen bemerkt und die Bewohner, die wahrscheinlich schon zur Ruhe gegangen waren, aufmerksam gemacht. Doch konnten die vor dem Hause stehenden Leute nicht eindringen, da die Haustür verschlossen war und erst durch Einschlagen Zutritt erlangt wurde. Ehe er größeren Schaden angerichtet hatte, wurde der Brand von den Bewohnern gelöscht.

25. September 1913
Gestern starb hier einer der ältesten Einwohner unserer Stadt, der im Kirchgäßchen wohnende 85 Jahre Webergehilfe Hermann Müller. Mit ihm ist ein altes Original aus unserer Bevölkerung dahin gegangen. Er war treu und schlicht und allgemein beliebt und geachtet und hielt fest an dem Althergebrachten. Müller war fast bis an sein Lebensende gesund und rüstig und hatte nie eine Krankheit gehabt. In ihm verliert auch die hiesige Weberinnung den ältesten Webergehilfen, denn er gehörte der Innung 68 Jahre als eingetragener Gehilfe an.

2. September 1913
Der Besuch des Königs.
Königswetter. Wahrlich, unsere Stadt und Gegend muß bei den himmlischen Wettermachern gut angeschrieben stehen. Langsam, aber sicher ging in den letzten tagen das Barometer herunter und die schlimmsten Befürchtungen wurden wach, ob wir nicht vor einer neuen Regenperiode stünden und der besuch unseres Landesherrn durch das himmlische Naß gestört würde. Aber strahlend stieg heute morgen die Sonne am östlichen Horizont empor, rotgolden glänzten einige weiße Wölkchen und im frischen, kühlen Morgenwinde blähten sich Fahnen und Girlanden, die Herrlichkeit und Schöne des Tages kündend. Schon vom frühen Morgen an regte sich alles in unsrer Stadt, um sich auf die Königsfeier vorzubereiten; die Kinder unserer Schulen versammelten sich, festlich gekleidet mir Schärpen in den Landesfarben, Sträußchen im Haar und die Mädchen zumeist in weißen Kleidern, die Vereine zogen auf, um Spalier zu bilden und überall auf den Straßen, die Se. Majestät passierte, sammelten sich Laufende, um dem König ihre Huldigung darzubringen. Pünktlich 9.37 Uhr lief der königliche Sonderzug auf dem hiesigen Bahnhofe ein, wo sich, da keinerlei Empfang befohlen war, die Herren Bürgermeister Dr. Paß und als Vertreter der Amtshauptmannschaft Regierungshauptmann v. Gehe–Glauchau meldeten. Das Töchterchen Brigitte des Herrn Dr. Paß überreichte Sr. Majestät beim Betreten des Bahnsteigs ein aus La France- und Schneeköniginrosen gewundenes und mit einem Bande in den Landesfarben geschmücktes Bukett, indem es den Monarchen dabei mit folgenden Worten begrüßte:

Herr König, in ganz Sachsenland
Seid Ihr als Kinderfreund bekannt,
Drum nehmt aus wahrem Herzensgrund
Den ersten Gruß von Kindermund.

Willkommen auf dem „Hohen Stein“!
Bescher Euch Gott stets Sonnenschein,
Steh’ Euch auch bei mit Heil und Rat
Und segne Eurer Kinder Pfad!

Se. Majestät freute sich herzlich über die kindliche Huldigung und dankte freundlich für den Strauß. Der König ging dann durch das Vestibül, wo die Beamten des Bahnhofes Aufstellung genommen hatten, auf den Vorplatz, wo die Fahnen unserer Vereine den Herrscher des Landes begrüßten. Im Gefolge Sr. Majestät befanden sich die Herren Minister des Innern Graf Bißthum v. Eckstädt, Oberstallmeister v. Haugk, Generaladjutant Generalmajor v. Tettenborn, Kreishauptmann Lossow, Geh. Regierungsrat Heink und Flügeladjutant v. Könneritz. Auf dem Wege durch die Moltkestraße*2 nach dem Rathause, den der König im Auto zurücklegte, während die Autos Herrn Kreishauptmanns und des Herrn Bürgermeisters voranfuhren, bildeten die Militärvereine Schützengesellschaften und die Feuerwehr Spalier, umsäumt von einer dichten Menschenkette, die mit unaufhörlichen Hochrufen den Herrscher begrüßte. Auf dem Markte hatten die Damen des Kornblumentages Reihen gebildet und wieder bereiteten hier Ungezählte dem König lebhafte und freudige Huldigungen. Unter Führung des Herrn Bürgermeisters begab sich Se. Majestät durch den östlichen Seiteneingang des Rathauses nach dem Stadtverordnetensaale, wo die Huldigung der Bürgerschaft vor sich ging.

Josefine Meisch, Auszubildende Stadtverwaltung

*1 Landgrafstraße = heute Ziegenberg
*2 Moltkestraße = heute Immanuel-Kant-Straße

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