September 1912

1. September 1912
Einer unserer angesehensten und verdientesten Mitbürger, der Gründer und Seniorchef der Firma Robert Meisch, Herr Friedrich Wilhelm Robert Meisch, ist heute morgen 7 Uhr nach langem, schweren Leiden mit Tode abgegangen. Geboren am 4. Juli 1838 zu Nordhausen, kam der Verstorbene im Jahre 1856 als Reisender zur Firma August Layritz nach Ernstthal, um unsere Stadt nicht wieder zu verlassen. Nachdem er sich im Jahre 1865 mit der Tochter des damaligen Baumeisters Emmerich verheiratet hatte, machte er sich im gleichen Jahre selbstständig und fabrizierte zunächst Strickwaren, um alsbald an die Herstellung feiner und feinster Trikotagen, vor allem Unterzeuge, zu gehen. Unter seiner tatkräftigen Leitung wuchs das Geschäft aus kleinen Anfängen zu seiner jetzigen Bedeutung, und wenn heute die Trikotagen-Fabrikation unserer Stadt im In- und Auslande sich eines gleich ansehenden Namens erfreut, so ist es in der Hauptsache das Verdienst des Verstorbenen, der zuerst bahnbrechend für seine durch maschinelle Einrichtung hergestellten Fabrikate wirkte. Aber nicht nur seinem großen Geschäft, auch unserer Stadt und ihren gemeinnützigen Einrichtungen hat der Verablebte Jahre hindurch seine Dienste gewidmet. So war er seit 1865 Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und später ihr Kommandant, und in den neunziger Jahren gehörte er längere Zeit hindurch dem Stadtrate als Mitglied an. In den letzen Jahren hatte er mehr und mehr der öffentlichen Tätigkeit entsagt, um sich ganz seinem Geschäft zu widmen, für das er ratlos von früh bis abends tätig war. Erst vor wenigen Jahren zog er sich vom Geschäft zurück, das er bei seinem Sohne Herrn Fabrikbesitzer Ernst Meisch, in den besten Händen wußte, ohne jedoch mit dem Geschäft ganz die Fühlung zu verlieren. Wie sorgend er jetzt noch diesem und seinen zahlreichen Arbeitern gegenüberstand, beweisen die reichen Stiftungen, die er erst vor wenigen Wochen gemacht hat, gleichwie er auch durch weitere Vermächtnisse an hiesige Korporationen dartat, daß er mit seiner zweiten Vaterstadt aufs Engste verwachsen war und daß ihr Wohl ihm immer am Herzen lag. Mit dem Verablebten aber geht nicht nur ein umsichtiger Geschäftsmann und ein immer bereiter Freund und Berater seiner Angestellten und Arbeiter zu Grabe, sondern auch eine gerade, ehrliche und vornehme Natur, die in ihrem großen Freundeskreis sich reichen Ansehens und großer Beliebtheit erfreute. Mit Robert Meisch ist einer der letzten aus der geschäftlichen Werdezeit unserer Stadt von uns gegangen, möge ihm, dem unermüdlich Tätigen, der erst im Alter des Psalmisten die Bürde des Geschäfts auf andere Schultern legte, die Erde leicht sein.

10. September 1912
Kaiser Wilhelm passierte heute früh auf der Fahrt ins Manöver unsern Bahnhof. Der kaiserliche Sonderzug bestand aus 7 Wagen, die in der bekannten hellgelben mit blau abgesetzten Farbe gehalten waren. Die Führung des Ganzen hatte Transportdirektor Bahrmann aus Dresden. Der Kaiser zeigte sich nicht am Fenster. Er hielt sich im vorletzten Wagen, von dem fünf Fenster durch Jalousien geschlossen waren, auf.

18. September 1912
Eine Eifersuchtsszene spielte sich dieser Tage gelegentlich eines Fabrikvergnügens auf einem hiesigen Ballsaal ab. Man hatte eine sogenannte „Kußpolonaise“ veranstaltet, wozu u.a. ein junger lediger Mann eine verheiratete Nebenarbeiterin engagierte. Die Polonaise war ziemlich beendet und der letzte Akt – das Küssen – sollte vor sich gehen. Die Paare hatten sich bereits auf die Stühle gesetzt, da erschien plötzlich der Ehemann der Frau auf der Bildfläche, stürzte zwischen die beiden und machte insofern reine Arbeit, als er die Frau und den jungen Mann auseinander jagte und etwas kräftig jede Person nach einer anderen Seite schleuderte. Selbstverständlich wurde die Polonaise sofort abgebrochen, doch nahm das übrige Vergnügen unter Heiterkeit seinen weiteren Verlauf.

20. September 1912
Heute Vormittag scheuten auf der Antonstraße die vor einem Kohlenwagen gespannten Pferde eines hiesigen Fabrikanten vor einem vorüberfahrenden Eisenbahnzug. Die Tiere rissen den eisernen Zaun des an der Lungwitzerstraße gelegenen Stieglerschen Gartens zu einem Teil um. Der Kutscher wurde bei dem Versuche, die rasenden Tiere zu halten, ein Stück geschleift, hat aber keine nennenswerten Verletzungen.

21. September 1912
Wie wir hören, hat der Inhaber der Firma S. Rosenthal & Co., Herr Moritz Falk, das Zehlsche Grundstück an der Ecke der Weinkeller- und Conrad-Claußstraße käuflich erworben, um mit Beginn des neuen Jahres sein umfängliches Geschäft dorthin zu verlegen. Das Haus wird zunächst einem grundsätzlichen Umbau unterzogen, da wie wir weiter hören, sechs große Schaufenster hineingebaut werden sollen. Auch gedenkt Herr Falk das erste Stockwerk des Hauses seinem Geschäft hinzuzuschlagen.

22. September 1912
Die vor kurzem erfolgte Umbezirkung des „Logenhauses“ nach der Stadt Hohenstein-Ernstthal hat zur Folge, daß den Gesellschaften und Vereinen, die dort irgendwelche Veranstaltungen abzuhalten gedenken, nicht mehr jene Schwierigkeiten bei der Beantragung von Erlaubniserteilungen erwachsen, die früher zu überwinden waren. Oft spielt bei Beschlußfassungen über die Abhaltung von Vereinsvergnügen die Lokalfrage die größte Rolle, und so dürfte es in diesem Sinne zu begrüßen sein, daß die Vergnügungsstätten im Stadtbezirk eine Vermehrung erfahren haben.

25. September 1912
Ein aufregender Vorgang trug dich gestern in der 7. Abendstunde am hiesigen Güterbahnhofe zu. Dort sollte für einen Hermsdorfer Fleischer eine in Chemnitz gekaufte Kuh auf einen Viehtransporter verladen werden. Kaum hatte man jedoch den Bahnwagen geöffnet, als das Tier wütend wurde und auf den Bahnkörper sprang. Ein dort stehender junger Mann wollte die Kuh aufhalten, wurde jedoch von ihr niedergeworfen, worauf sie dann den Bahnkörper entlang nach Hüttengrund zu flüchtete. Unterwegs stellten sich dem wütenden Tiere einige Bahnarbeiter entgegen. Aber auch sie mußten ablassen, da das Tier einen derselben niederriß und auch die anderen anzugreifen drohte. Die Kuh lief bis in das Hainholz und schwenkte dann in der Nähe des Bahnblockhauses auf einem Weg nach Hermsdorf zu. Im Dorfe rannte das wütende Tier dann auf der Straße herum, wodurch ein Teil der dortigen Bevölkerung in Aufregung geriet. Von einer größeren Anzahl Männer konnte es abends gegen 9 Uhr endlich festgehalten werden und dem rechtmäßigen Besitzer zugeführt werden.

Dieser Beitrag wurde unter 1912 veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.