August 1912

06. August 1912
In einer der letzen Nächte verunglückte auf der Oststraße ein total betrunkener, ohne Laterne fahrender Radler dadurch, daß er das Gleichgewicht verlor und vom Rade stürzte und liegen blieb. Einige hinzukommende Anwohner hoben den Mann auf und brachten ihn mit vieler Mühe auf die Beine und aufs Rad, wo er nach kurzer Zeit wieder in unsanfter Weise Bekanntschaft mit dem Erdboden machte. Als er wieder aufgehoben werden sollte, gebrauchte er gegen seine Helfer beleidigende Redensarten, sodaß er auf der Straße liegen bleiben mußte. Nach einiger Zeit setzte er seinen Weg selbst fort. Der Mann wollte nach Wüstenbrand.

07. August 1912
Seine Umbezirkung nach der Stadt Hohenstein-Ernstthal feiert das „Logenhaus“ am Mittwoch, den 21. August, durch ein Militär-Konzert mit Ball, worauf schon heute empfehlend hingewiesen sei.

10. August 1912
Schwermut war die Ursache zu einem bedauernswerten Schritt, den eine in der Zentralstraße*1 wohnende Schneiders-Ehefrau gestern nachmittag tat; sie sprang mit ihrem erst im ersten Lebensjahre stehenden Kinde in den Teich an der Staatsstraße nach Wüstenbrand und wäre ertrunken, wenn nicht ein des Weges kommender Radfahrer den Vorgang bemerkt hätte und sofort zur Rettung der beiden verschritten wäre, die auch glücklicherweise gelang. Allgemeines Bedauern wendet sich der betroffenen Familie zu.

In einer der letzten Nächte wurde ein hiesiger junger Mann recht jählings bei einem Stelldichein bei seiner in der Altstadt wohnenden Liebsten von der Polizei gestört und „ausgehoben“. Die Polizei hatte von der Liebschaft Wind bekommen, und wohl oder übel mußte der Verliebte die Wohnung mit recht gemischten Gefühlen verlassen. – Liebesfreud und Liebesleid!

Bergfest 1912.
Zu großen Erwartungen berechtigte der schöne Beginn des Festes, die Bierprobe am Sonnabend, die ein Stelldichein aller Kreise unserer Einwohnerschaft auf dem Pfaffenberge darstellte. In jedem Zelt, in dem das edle Naß dargeboten ward, gabs viel Leben, bis dann die zunehmende außergewöhnliche Kühle die Besucher zwang, geschütztere Stätten aufzusuchen. So bevölkerten sich denn gar bald das Berggasthaus „Zur Bismarckhöhe“ und die geräumige Turnerbundhalle. Im Berggasthaus hatte sich der Männergesangsverein „Arion“ niedergelassen, der die Gäste mit zahlreichen Vorträgen erfreute, und zu diesen Sängern gesellte sich in späterer Stunde noch der „Sängerverein“ der gleichfalls mehrere Vorträge bot. Während es draußen am nachtschwarzen Himmel in einemfort wetterleuchtete ward die Stimmung in den Feststätten immer animierter und, wie es heißt, soll es schon Sonntag gewesen sein, als der „Sonnabend beschlossen“ ward. Und nun kam der Sonntag heran, der allenthalben recht besorgte Gesichter sah. Ein Regenguß folgte dem anderen, und sie waren so reichlich, daß Grund und Boden auf dem Festplatze bös aufgeweicht wurden. Trotz alledem war der Zug nach dem Berge am Nachmittag doch ein recht lebhafter, als der Regen nachließ oder doch wenigstens nur ab und zu einige Schauer niedergingen.

Am heutigen Montag hat man mit dem Abbruch des alten Wirtschafts- und Niederlagsgebäude am hiesigen Bahnhofe durch Herrn Bauunternehmer Gustav Müller begonnen. Das an der westlichen Seite des Bahnhofsplatzes im Bau begriffene neue Niederlagsgebäude geht seiner Vollendung entgegen, doch dürfte bis zur Benutzung noch einige Zeit vergehen. Das alte Gebäude muß dem Schienenstrang der elektrischen Bahn Platz machen.

Am gestrigen Abend gegen 12 Uhr wurden die Anwohner der Schützen- und Schönburgstraße*2 durch weibliche Hilferufe aus der Nachtruhe gestört. Ein auswärtiges Ehepaar war in Streit geraten, in dessen Verlauf der Mann die Frau auf der Schönburgstraße verprügelte und die Frau dabei laut um Hilfe schrie. Ein Anwohner verfolgte das „liebevolle“ Ehepaar, konnte es aber nicht ermitteln, da es in der Dunkelheit verschwand.

21. August 1912
In den Anlagen des Erzgebirgsvereins auf dem Berge finden sich mitunter recht zweifelhafte Elemente ein, denen die Anlagen nur zu allerhand Unfug dienen. So hatten sich gestern nachmittag auf einer Bank unweit des Säuberlichsteins zwei Arbeiterfrauen von hier, mit je einem Kinde niedergelassen; als plötzlich ein älterer Mann, nach seiner Angabe von hier, erschien, sich neben die Frauen setzte und ein Gespräch anfing. Leider wurde der Mann in Redensarten so gemein und aufdringlich, daß beide Frauen schleunigst flüchten mußten.

22. August 1912
In eine fatale Lage geriet gestern mittag in der Antonstraße gerade zu der Zeit, als die Arbeiter sich anschickten, nach Hause zu gehen, ein junges Mädchen, dessen eiliger Gang auf eigenartige Weise behindert ward. Vorwitzig lugte schon seit einer Weile etwas Weißes unter dem Rock hervor, das beim weiteren Ausschreiten immer sichtbarer ward und schließlich ein Fortbewegen überhaupt unmöglich machte. Wohl oder übel mußte das Mädchen zum Gaudium der zahlreichen Straßenpassanten das Kleidungsstück, das man bei Männern unter der Bezeichnung „die Unaussprechlichen“ kennt ausziehen, da sich anders als hinter geschlossener Tür eine bessere Beseitigung nicht ermöglichen ließ. Das gleiche Malheur passierte vor kurzem auch einer Tänzerin auf einem hiesigen Ballsaal.

„Das gab es auch vor 100 Jahren schon…“
In der Sitzung vom 22.05.1912 wurde vom Gemeinderat zu Wüstenbrand unter dem Tagesordnungspunkt 7 folgendes beschlossen:
Zur Vornahme der Erneuerung – und Beschleunigungsarbeiten der Waldenburger Straße erteilte der Gemeinderat seine Zustimmung und bewilligte die hierzu erforderlichen Mittel, die zu ein Drittel von den anliegenden Besitzern zu bezahlen sind.

*1 Zentralstraße = heute Herrmannstraße
*2 Schönburgstraße = heute August-Bebel-Straße

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