Juli 1912

02. Juli 1912
In letzter Zeit haben verschiedene Grundstücke in unserer Stadt ihre Besitzer gewechselt. So ist das Haus des Herrn Schuldirektor Dietze in den Besitz des Herrn Horst Layritz und das Grundstück des Herrn Fichtner auf der Schubertstraße vom 1. Oktober d. J. ab in das Eigentum des Herrn Böttchermeister Fritz Kolbe übergegangen.

05. Juli 1912
Ein ehrlicher Knabe ist der 13 Jahre alte Sohn Hermann des Fabrikwebers Herrn Karl Richter, hier, Lungwitzerstraße. Derselbe fand gestern nachmittag auf der Weinkellerstraße fünf Hundertmarkscheine. Kurz entschlossen lieferte das Kind den Fund auf dem hiesigen Rathause ab, gerade in dem Augenblick, als dort ein Lehrling und ein Buchhalter eines hiesigen Baugeschäftes den Verlust meldeten. Der Lehrling war mit dem Einkassieren einer größeren Summe beauftragt worden und hatte in der Hast die fünf „Blauflügel“ auf der Weinkellerstraße verloren. Hocherfreut nahm der betreffende Buchhalter das so schnell abgelieferte Geld in Empfang. Im Kontor des betreffenden Baugeschäftes aber wurde dem ehrlichen Knaben durch den Inhaber der Firma ein ansehnliches Geldgeschenk überreicht.

06. Juli 1912
In schwere Betrübnis gebracht wurde die Familie des Masseurs Hauck in der Schützenstraße durch das plötzliche Verschwinden ihrer 15jährigen Tochter Johanna. Das junge, über sein Alter hinaus kräftig entwickelte Mädchen hatte gelegentlich eines Vereinsausfluges nach Einsiedel dort einen sehr elegant auftretenden jungen Mann kennen gelernt, der es leider nur zu gut verstand, das unerfahrene Mädchen für sich einzunehmen. Zufällig aufgefundene schriftliche Mitteilungen des Unbekannten an das Mädchen bestätigen dies. Leider lassen sich über die Vorgänge vor dem Weggang des Mädchens, das am Dienstag mittag das Haus verließ, während die Eltern in der Verwandtschaft einem Familienfeste beiwohnten, nur Vermutungen anstellen. Zu Freundinnen hat das junge Mädchen geäußert, dass jener junge Herr es mit einem Automobil abholen werde zu einer Fahrt nach Chemnitz, und tatsächlich soll das Auto auch in der Nähe des Neustädter Schützenhauses gehalten haben, die drei männlichen Insassen hätten, so erzählt man sich, das Mädchen mitgenommen. Ob das nun wirklich der Fall ist, ließ sich bis jetzt noch nicht feststellen, wie überhaupt die Wahrheit und Dichtung schwer voneinander zu scheiden ist, denn wenn sich die Fama eines solchen Falles annimmt, so hat die Phantasie des Einzelnen viel mitzusprechen. Wir haben bisher auf eindringlichen Wunsch der schwer besorgten Eltern mit der Veröffentlichung dieser Meldung zurückgehalten, aber hoffentlich führen die Erörterungen dieses Falles doch recht bald zur Ermittlung der Vermißten. Das am 30. März 1898 geborene Mädchen trug ein dunkelblaues Faltenkleid und führt ein hellgraues Winterjackett mit sich, aber keinen Hut. Wer irgendwelche Angaben über den Vorgang machen kann, möge sie den Eltern, Schützenstraße 4, oder der Polizei mitteilen.

07. Juli 1912
Zwei Veteranen der Straße kamen in polizeiliches Gewahrsam. In total betrunkenem Zustande wurde der Gelegenheitsarbeiter Schreiter in der Neustadt aufgefunden und auf der Hüttengrundstraße hatte sichs ein anderer namens Schraps zum Zwecke des Nächtigens in einem Heuhaufen bequem gemacht. Die Polizei verschaffte ihnen ein Nachtquartier zwischen vier Wänden.

09. Juli 1912
Zu den Eltern zurückgekehrt ist die 15jährige Johanna Hauck, deren plötzliches Verschwinden wir meldeten. Die Angelegenheit klärte sich, so wird’s uns versichert, als harmloser auf als sie anfangs anzunehmen war. Das Mädchen hatte nach einer Zurechtsetzung durch die Eltern diesen einfach den Rücken gekehrt und hatte sich in einer Nachbarstadt ein anderes Arbeitsverhältnis gesucht. Von einer „Entführung im Automobil“ kann also keine Rede sein.

11. Juli 1912
Vergangene Nacht entleibte sich durch erhängen in seiner auf der Chemnitzer Straße gelegenen Wohnung der in den 40er Jahren stehende Weber Friedr. Gaam. Schwermut wegen gegenwärtiger Arbeitslosigkeit dürfte der Grund der Tat sein. Als heute früh die Ehefrau Gaams aufstand, fand sie den Gatten an der Türklinke erhängt.

19. Juli 1912
Aufregung gabs gestern abend auf dem Neumarkt. Passanten wollten in der Trinitatiskirche einen Lichtschein beobachtet haben, vermuteten Diebe dort und setzten die Bezirkswache von ihren Beobachtungen in Kenntnis. Es ward auch sofort eine eingehende Durchsuchung der Kirche vorgenommen, aber nicht das geringste Verdächtige gefunden. Schließlich stellte es sich heraus, dass der beobachtete Lichtschein von einer vor der Kirche stehenden Laterne herrührte, der sich an den Kirchenfenstern wiederspiegelte.

24. Juli 1912
Ein Tag trüben Gedenkens ist der morgige 25. Juli. Es ist nämlich 50 Jahre her, daß – am Jakobustage des Jahres 1862, einem Freitag – bei sehr großer Hitze der verheerende Brand in der Obergasse, der jetzigen Dresdner Straße stattfand und den Teil zwischen der Stockschen Fabrik und der Wechslerschen Färberei in einen wüsten Trümmerhaufen verwandelte. Es brannten an der Obergasse neun Häuser mit Hintergebäuden nieder, nämlich an der Dresdner Straße die Stocksche Fabrik, Färber Wechsler, Neubert, Kupferschmiedemeister Hecht, Seifensiedermeister Stock, Oekonom Schüler, Nadelschmiedemeister und Eisenhändler Rother, Kartonagenfabrikant Schlegel und Holzhändler Beck, an der Färbergasse Geringswald Oelßner und Meier. Auf des letzteren Grundstück steht jetzt Grubers Fabrik. Wegen der außerordentlichen Hitze war bei diesem Brande auch die Gottesackergasse und die Neustadt arg gefährdet. Wie jener große Brand zum Ausbruch gekommen, hat sich nie ermitteln lassen.

31. Juli 1912
In vergangener Nacht wurden die Anwohner der Aktienstraße längere Zeit durch Automobillärm erheblich in der Nachtruhe gestört. Der Besitzer, ein Herr aus Chemnitz, gab sich viele Mühe, das widerspenstige Töff-Töff in Bewegung zu bringen, doch trotz vielen Knatterns und Pustens des Motors ging es nicht von der Stelle. Erst nach längerer Zeit besann es sich und man konnte die Heimfahrt antreten.

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