März 1911

01. März 1911
Gestern trug man in der Neustadt einen Mann zu Grabe, einen einfachen schlichten Weber, Herrn Friedrich Lohse, dessen Wirken in der hiesigen Webindustrie nur wenigen bekannt war. Herr Lohse war eine von den Naturen, deren Geist ständig schafft und denkt. Schon vor vielen Jahren, als der mechanische Webstuhl in unserer Stadt noch sehr wenig Ausbreitung gefunden hatte, arbeitete der nun Verstorbene daran, den alten Holzwebstuhl mittelst verschiedener Konstruktionen einfacher zu gestalten und dem Handweber das schwere Arbeiten zu erleichtern. Aber wie dies so geht, er hatte Erfolge und auch Mißerfolge. Durch die Einführung der Elektrizität in unserer Stadt wurde Lohse wieder ausgemustert und nun ging er daran, den alten hölzernen Webstuhl zum mechanischen umzuändern, was ihm auch nach einiger Zeit gelang. Er hatte jedoch damit wenig Glück und so gut wie keinen materiellen Erfolg, da die fortschreitende Technik und der eiserne Webstuhl ihm das Feld seiner Tätigkeit sehr erschwerten. Seine wenigen Spargroschen mußte er zusetzen und es ging ihm wie so manchen Erfindergenie – die Hoffnung hatte ihn betrogen. Auch sonst hat er sich noch als Erfinder betätigt. Als vor einigen Jahren eine große sächsische Straßenbahngesellschaft ein Preisausschreiben für Schutzvorrichtungen an Straßenbahnwagen erließ, reichte Lohse eine Lösung mit ein. Jetzt hat nun der strebsame Mann die Augen für immer geschlossen. Daß er durch sein treues biederes Wesen allgemein beliebt war unter der Arbeiterschaft, bewies der große Trauerkondukt. Der Verstorbene hat nur ein Alter von 60 Jahren erreicht.

02. März 1911
Die gestrigen Fastnachtsveranstaltungen ließen in unserer Stadt noch einmal das fröhliche Karnevalstreiben aufleben, daß sich, soweit es die Kinder betrifft, infolge der von der Schule aus ergangenen Weisungen in gemäßigten Grenzen hielt. In harmloser Weise gab sich die kleine Welt dem Vergnügen hin und es war auch so ganz schön, ohne daß, wie es in anderen Jahren zu beobachten war, die Kinder von Haus zu Haus, von einem Restaurant zum anderen zogen. Am Abend vergnügten sich auf den Tanzsälen, in Vereinen und auch im privaten Zirkel die Großen, um bei allerlei Scherz und fröhlichen Mummenschanz den letzten Faschingstag zu genießen.

05. März 1911
Gestern abend versuchte ein junges Mädchen von hier sich in einem Schuhwarenladen auf der Dresdner Straße ein paar elegante Schuhe zu erschwindeln. Auf die Polizeiwache gebracht, legte sie sich einen falschen Namen bei, nach kurzem aber gelang es, sie als eine Repassiererin K. festzustellen. Die Unbesonnene dürfte ihre Tat mit einer gerichtlichen Strafe zu büßen haben.

08. März 1911
Einen gefährlichen Sport, vor dem fast in jeder Nummer der Zeitung eindringlich gewarnt wird, widmete sich eine Anzahl hiesiger Schuljungen, die sich zu Revolverschützen ausbilden wollten und zum Uebungsplatz den Langenberger Wald erwählt hatten, wo ihnen vorgestern ein Forstbeamter das Handwerk legte, das den Jungen sehr leicht zum Verderben werden konnte. In Frage kommen hierbei die Schulknaben Wilhelm Anton Ki., dann ein Louis Paul L. und ein gewisser Ko. Letzterer stand derart unter dem Zwange seiner „Spiel“ genossen, daß er auf Geheiß Ki.´s wiederholt seine in der Weberstraße wohnende Großmutter bestohlen hat. Die Diebstähle liegen in ihren Anfängen um sechs Monate zurück, die entwendeten Geldbeträge beziffern sich auf etwa 50 Mark. Hiervon kaufte man in einer hiesigen Eisenhandlung, deren Besitzer sich jedenfalls auch noch zu verantworten haben wird – wenigstens dürfte ihm der Verkauf von Schutzwaffen an Kinder ein Strafmandat einbringen -, eine Windbüchse und einen Revolver und nun ging das frisch-fröhliche Jagen los! Bei diesem gefährlichen Spiel konnte sich leicht ein sehr schweres Unglück ereignen. Ein Fortbildungsschüler namens L. hantierte nämlich mit dem Schießeisen, ehe man sich´s versah ging der Schuß los und um Haaresbreite an Ki. vorbei. Jedenfalls dürfte der jugendlichen Lust am Knallen nun mal ein kräftiger Dämpfer aufgesetzt werden. Wir hatten bereits gestern Kenntnis von allen Einzelheiten, hielten mit der Meldung aber derselben aber mit Rücksicht auf die noch nicht völlig abgeschlossenen polizeilichen Erörterungen auf Wunsch unserer Polizeiverwaltung zurück.

09. März 1911
In der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten ward eine eingehende Debatte gepflogen über eine von der Stadt erbetene Unterstützung des Erzgebirgsvereins hinsichtlich der von diesem geplanten Erschließung des Berggeländes. Das Kollegium beschloß, wie im Sitzungsbericht des näheren ausgeführt ist, dem Verein die benötigten Baugelder gegen mäßigen Zinssatz zu bewilligen und weiter verpflichtet sich die Stadt zu einem jährlichen Beitrag von 500 Mark für das Wirtschaftsgebäude, der, wenn dieses sich rentiert, wieder in Wegfall kommt. Eine weitere wichtige Angelegenheit, die einen Teil unserer Bürgerschaft lebhaft beschäftigt, betraf das Kunzegäßchen. Hierzu wurde beschlossen, den Weg bestehen zu lassen und ihn auf eine Breite von 4,5 Metern aufzubauen.

15. März 1911
In letzter Nacht hat abermals ein hiesiger geachteter Einwohner seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht: in dem zum „Johannesgarten „ gehörigen Teiche fand man in der 12. Stunde den gegen 60 Jahre alten Musterzeichnereibesitzer Kobes, der in der Braugasse wohnt, ertränkt vor. Die Zeit vor seinem Abschied aus dem Leben verbrachte er im „Johannesgarten“. Als die letzten Gäste sich entfernen wollten, sah man K.s Überzieher und Hut an der Wand hängen, man hatte aber nicht gehört, daß K. sich verabschiedet hätte. Schlimmes ahnend, begaben sich einige Gäste auf die Suche nach dem Vermißten, den man bald als Leiche fand, die auf dem Wasser schwamm. Bei seinem Sprung in das kalte Wasser dürfte K. vielleicht schon einem Schlaganfall erlegen sein. Wie es heißt, haben finazielle Schwierigkeiten, aus denen er keinen Ausweg fand, Herrn K. in den Tod getrieben.

17. März 1911
In nicht geringe Verlegenheit kam dieser Tage ein Landwirt aus einem benachbarten Dorfe, der in hiesiger Stadt bei einem Materialwarenhändler und Kleinviehschlächter ein fettes Schwein abliefern wollte. Als er das Tier vom Wagen abladen wollte, mußte er die Wahrnehmung machen, daß der Wagen leer und das Borstentier verschwunden war. Der hintere Wagenschieber hatte sich gelockert und der Landwirt hatte das Schwein verloren. Nun war guter Rat teuer. Der Materialwarenhändler mußte das Schweineschlachten für einige Stunden aufschieben und der Landwirt machte sich auf den Weg, um das Borstentier zu suchen. Er hatte Glück, denn nicht weit von seinem Gehöft gewahrte er zu seiner Freude das Fundobjekt auf dem Felde, das dann im Aerger und in der Freude nochmals auf den Laden geladen und sofort in unserer Stadt abgeliefert wurde. Daß es nicht wieder ausriß, dafür sorgte der Landwirt und dann nochmals der Fleischer.

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