Juli 1911

02. Juli 1911
Ein einfacher Obelisk auf dem St. Christophorikirchhof – er steht noch mitten im Rauschen und Raunen der ernsten Zypressen, deren Bestand sich leider immer mehr lichtet – ruft uns die Erinnerung wach an die trübe Zeit vor nunmehr 45 Jahren, an den Bruderkampf von 1866. Am 3. Juli jährt sich wieder der Tag von Königgrätz, der die Entscheidung im Ringen brachte. „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens!“ so steht an der einen Seite eingegraben. „Gitschin den 29. Juni 1866, „Königgrätz den 3. Juli 1866“, „Zum Andenken der im Kampfe 1866 Gebliebenen W. Müller, Ferdinand Otto, Gustav Thibault, August Wellner, Adolph Mehlhorn, Julius Eifert Gewidmet von ihren zurückgekehrten Kameraden“, so sagen die übrigen Seiten des Obelisken. Als sich der blutige 3. Juli zum 10. Mal jährte, im Jahre 1876, wurde der Denkstein gesetzt. Die, die einst dabei waren, werden die traurige Zeit der nationalen Zerrissenheit nicht vergessen.

04. Juli 1911
Zu einem Ehrentag ward der vergangene Sonnabend Herrn Prokurist Friedrich Immanuel Böttcher, der an diesem Tage sein 25jähriges Geschäftsjubiläum bei der Firma Robert Meisch feiern konnte. Im Beisein des jetzigen und früheren Inhabers der Firma sowie des kaufmännischen Personals überreichte Herr Bürgermeister Dr. Patz dem Jubilar die vom Stadtrat gestiftete Ehren-Urkunde, während Herr Stadtrat Reinhard als Vertreter der Handelskammer Chemnitz, gleichfalls unter ehrender Ansprache, ihm eine Ehren-Urkunde für 25jährige treue Dienstzeit aushändigte.
Vom Firmen-Inhaber wurde Herr Böttcher ein wertvolles Geschenk zuteil.

06. Juli 1911
Feueralarm rief gestern gegen Abend die Wehren zur Tätigkeit nach dem Ortsteil Hüttengrund. Gegen 7 Uhr war dort in dem an der Talstraße gelegenen Gebäude des Herrn Köhler, Besitzers der alten „Hüttenmühle“, Feuer entstanden, und zwar in dem dicht hinter dem Wohnhause gelegenen Strohschuppen, der auch einige zur Weberei gebrauchte Maschinen enthielt. Die Feuerwehr von Hüttengrund, unsere 1. Kompagnie sowie die Hermsdorfer Wehr waren schnell zur Stelle, konnten auch bald Wasser geben, jedoch das Niederbrennen des Schuppens nicht verhindern; viel Mühe ward auf die Erhaltung des Wohnhauses verwandt, in dem die Familie Tischendorf, Hoppe und Bolick mit zahlreichen angehörigen wohnen. Außer dem im Schuppen lagernden Stroh verbrannten dort eine Webmaschine und zwei Wechselladen. Auch im Wohnhause richtete das Feuer Schaden an. Da die Flammen das Haus stark gefährdeten, brachten die Bewohner fast alle Möbelstücke usw. auf die Straße. Der Feueralarm hatte eine wahre Völkerwanderung nach dem Hüttengrund zur Folge. Bezüglich der Entstehungsursache des Feuers hat sich bisher lediglich feststellen lassen, daß vorsätzliche Brandstiftung wohl ausgeschlossen ist.

08. Juli 1911
Eine schwere Vergiftung zog sich in einem Hause am Altmarkt das dreijährige Söhnchen einer dort wohnhaften Familie zu. Dort war eine Hebamme beschäftigt, die auf einen kurzen Augenblick ihre verschlossene Tasche mit verschiedenen Gerätschaften beiseite gelegt hatte. Unbemerkt machte sich das Kind daran zu schaffen, wobei ihm eine Flasche mit Lysol in die Hände geriet. Ehe es jemand verhindern konnte, trank der Knabe davon, um gleich darauf wimmernd zusammenzusinken. Ob es ärztlicher Kunst gelingt, das Kind am Leben zu erhalten, ist sehr fraglich. Wie uns versichert wird, trifft keine der mitanwesenden Personen ein Verschulden an dem bedauerlichen Unglück.

Eine Anzahl hiesiger Herren plant den Bau von mehreren Einfamilienhäusern in der Neustadt auf dem Gelände zwischen Neustädter Schützenplatz und den sogenannten Waldplätzen. Es ist die nördlich gelegene Ecke zwischen Dresdner- und Oststraße. Man hat bereits von einem hiesigen Baumeister Kostenanschläge anfertigen lassen. Wenn sich genügend Teilnehmer finden, stellt sich der Herstellungspreis eines solchen Einfamilienhauses auf ungefähr 5000 Mk. Wie wir hören, soll aber nicht eher an die Ausführung dieses Projektes gegangen werden, als nicht wenigstens 10 Interessenten gewonnen sein.

09. Juli 1911
Nachdem nun das Bürgerheim „König Albert-Stift“ geweiht und seiner Bestimmung übergeben worden ist, soll auch die Möglichkeit gegeben werden, daß sich unsere Bürgerschaft durch den Augenschein überzeugt, welch schöne und zweckentsprechende Anlage in den früheren Wildeschen Häusern an der Dresdner Straße geschaffen worden ist.

14. Juli 1911
Einen recht lustigen Sitz zur Vesper hatten sich gestern nachmittag trotz Hitze und Sonnenbrand die Zimmerleute auf einen Geschäftshausneubau an der Schillerstraße ausersehen. Die Drei hatten Dacharbeiten zu verrichten und wollten vermutlich ihre Vesperpause nicht dadurch verkürzen, daß sie erst von dem hohen Bau herabstiegen. So nahmen sie ihr Mahl auf der äußersten Spitze des hohen Hauses auf dort angeschlagenen Latten ein, wobei sie noch gemütlich plauderten. Passanten beobachten diese Szene natürlich mit einer begründeten Aengstlichkeit.

21. Juli 1911
Von Krämpfen befallen wurde gestern gegen Abend auf dem unteren Altmarkt ein auf der Bismarckstraße*1 wohnendes junges Mädchen, das sich in Begleitung der Mutter befand. Die Bedauernswerte stürzt nieder und blieb besinnungslos liegen. Während nun die Mutter damit bemüht war, die Tochter in ein dort gelegenes Haus zu bringen, griff leider keiner der zahlreich dort stehenden Personen zu, um dem Mädchen und der Mutter zu Hilfe zu bringen. Schließlich lud letztere die noch halb Bewußtlose ohne jede fremde Hilfe auf den Rücken und trug sie so in ihre unweit gelegene Wohnung. Nur ein 10jähriger Knabe besaß soviel Nächstenliebe und unterstützte die Frau.

27. Juli 1911
Rüstig nehmen die Arbeiten zum Bau der Turnhalle auf dem Berge ihren Fortgang. Auf schöner Bergeshöhe, inmitten des Stadtparkes und umgeben von reizvollen Anlagen soll eine Stätte deutscher Turnarbeit und Geselligkeit entstehen, die ihrer Umgebung sich anpassend, auch der Stadt zur Zierde gereicht. Der Turnhallenbau und die Herstellung des Turnplatzes erfordern bedeutende Mittel, die zum Teil durch Verkauf von Anteilscheinen aufzubringen sind. Die dafür bezahlten Beträge sollen mit 3 Prozent verzinst werden. Nach und nach werden diese Scheine ausgelost und gelangen zur Rückzahlung. Möchten recht viele untere Einwohner den „Turnerbund“ ihre Unterstützung durch Einnahme von Anteilscheinen angedeihen lassen und eine Stätte gründen helfen, die dem Gemeinwohl dient und wo deutscher Geist und deutsche Sitte gepflegt hochgehalten werden sollen.

30. Juli 1911
Der Ausbau des Berghauses „Zur Bismarckhöhe“ schreitet rüstig vorwärts. Schlank überragt die Fangstange des Blitzableiters den Turmteil, die Dachdecker werden mit Ende dieser Woche ihre Arbeit zu Ende führen und die inneren und äußeren Putzarbeiten, bei denen das Lithinputzverfahren angewandt wird, sind in vollem Gange. Die Putzart wird recht schön zur sonstigen Eigenart des Gebäudes passen. Ebenso sind die Maler an den äußeren Holzteilen in voller Tätigkeit; zugleich ist man darüber, Fenster einzusetzen und die Läden anzubringen. Die Herstellung der Veranden und Terrassen geht ihrem Ende entgegen, auch die Erdarbeiten um das Gebäude herum sind fast vollendet oder können zumindest bis zum Feste zu Ende geführt werden. So steht also zu hoffen, daß zum Feste am 13. und 14. August außer auf dem Festplatz auch im Berghaus der volle Betrieb einsetzen kann.

*1 Bismarckstraße = heute: Friedrich-Engels-Straße

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