November 1911

05. November 1911
Kauft am Ort oder von im Ort bekannten Personen! Vor einigen Tagen bot ein durch Hohenstein-Ernstthal, Oberlungwitz, usw. fahrender Händler russische Preißelbeeren feil, das Pfund zu 35 Pfg. Diese durch ihre Größe ansprechenden Beeren waren aber nicht die erwünschten Preißelbeeren, sondern es waren nur Beeren der sogen. eßbaren Eberesche. Die Käufer klagen allgemein darüber, daß diese Beeren, um nur einigermaßen schmackhaft zu werden, unverhältnismäßig viel Zuckerzusatz erfordern, wodurch der vermeintliche billige Kauf und das Einlegen dieser „russischen Preißelbeeren“ sich als sehr teuer und unvorteilhaft erweisen.

15. November 1911
Gestern stürzte in einem unbewachten Augenblick das 2½ Jahre alte Söhnchen einer auf der Karlstraße wohnenden Handarbeitersfamilie vom zweiten Stockwerk herab in den Hof. Das Kind hatte sich zu weit über das Fensterbrett gelegt, wodurch es das Gleichgewicht verlor und abstürzte. Es wurde besinnungslos aufgehoben, kam aber nach einiger Zeit wieder zum Bewusstsein. Der sofort zu Rate gezogene Arzt stellt innere Verletzungen fest, auch scheint das Kind innere Verletzungen am Rücken erlitten zu haben.

16. November 1911
Nachdem gestern fast den ganzen Tag leichter Nebel über dem Lande lagerte, kam er in der siebenten Stunde in einer derartigen Dichtigkeit dahergezogen, dass die Straßen und Schaufensterlaternen kaum auf einige Meter hin geringe Helligkeit verbreiteten. Der Straßenverkehr ward deshalb auch ziemlich beschwerlich. Daß der Verkehr auf den Landstraßen um diese Zeit geradezu mit Gefahr verknüpft war, zeigt folgender Vorfall: Auf der Badstraße fuhr Herr Ortskrankenkassierer Koch von hier mit seinem dreirädigen Automobil. Durch irgend einen Umstand dazu veranlaßt, glaubte er einem entgegenkommenden Gefährt ausweichen zu müssen, in der Dunkelheit fiel diese Bewegung zu stark aus, das Fahrzeug fuhr in den Straßengraben, fiel um und der Insasse ward herausgeschleudert. Glücklicherweise kam er mit dem Schrecken davon, während der Wagen dadurch beschädigt wurde, daß der Benzinbehälter ausbrannte. Ueber Nacht blieb das Gefährt draußen liegen; erst heute vormittag wurde es zur Reparatur nach der Stadt gefahren.

17. November 1911
Angeblich aus Verzweifelung über geschäftliche Verluste ist ein junger Geschäftsmann aus einer Nachbarstadt zum Fälscher und Betrüger geworden. Er kam im Laufe des Vormittags zur hiesigen Bank und präsentierte einen Wechsel über 500 Mk., der auf den Namen eines hiesigen Geschäftsmannes ausgestellt war. Der Betrüger hatte jedoch nicht mit der Vorsicht des Bankvorstehers gerechnet, der erst bei dem hiesigen Geschäftsmann anfrug und daraufhin dem Fremden die Betrugsabsicht und Fälschung nachweisen konnte. Als der Betrüger sah, daß er auf diese Weise seinen Zweck, zu Gelde zu kommen, nicht erreichte, nahm er schleunigst Reißaus, ward aber von einigen Geschäftsangestellten eingeholt und durch Polizeiorgane verhaftet. Der bisher Unbescholtene wird sein unlauteres Manöver schwer büßen müssen.

22. November 1911
Ein Rückblick auf die Bautätigkeit in unserer Stadt ist jetzt, wo sie weit vorgeschrittene Jahreszeit wohl bald ein „Halt“ gebieten wird, am Platze. Mit diesem „Halt“ wird ein Baujahr beendet werden, das im Hinblick auf das günstige Wetter vom ersten bis zum letzten Tage ein reichgesegnetes genannt zu werden verdient. Aber auch im Hinblick auf die Anzahl und den Umfang der fertiggestellten und begonnenen Bauten kann man seine Freude haben. Einen Villen- oder Wohnhausneubau errichteten die Herren Meyer und Reuthner an der König Albert Straße*1, Müller an der Hüttengrundstraße, Pfefferkorn an der Lungwitzer Straße, Selbmann und die Baugenossenschaft an der Bismarkstraße*2, Dünnebier an der Zeißigstraße, Richter an der Schönburgstraße*3, Uhlig auf dem Pfaffenberg und Mehnert an der Dresdnerstraße. Fabrikneu- und Umbauten sowie Wiederaufbau der abgebrannten Betriebsgebäude führten bezw. begannen die Firmen Heidel an der Antonstraße, Vetter & Rössel an der Schillerstraße, Finsterbusch an der Limbacher Straße*4 und Beck an der Goldbachstraße. Auf dem Pfaffenberg errichteten der Erzgebirgsverein ein prächtiges Berggasthaus und der „Turnerbund“ eine große Turnhalle. Während Herr Köhler an der Talstraße auf dem abgebrannten Teile seines Anwesens den Dachstuhl wieder aufsetzte und Herr Schmidt im Altstädter Schützenhause den Garderoberaum vergrößerte, plant Herr Bauer an der Moltkestraße*5 zu geeigneter Zeit den Bau einer Kühlanlage. Schaufenster- und Ladenvergrößerungen wurden von den Herren Richter, Winter, Reinhold und Schörner vorgenommen. Die Anzahl der aufgezählten Bauten, denen sich noch eine größere Zahl nicht genannter kleinerer Veränderungen zugesellte, rechtfertigen es wohl, wenn man das Baujahr ein fruchtbares und die Bautätigkeit eine rege nennt; beide lassen auf eine gefundene Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens schließen.

25. November 1911
Ein Kuriosum, das heute die Leute in der Dresdnerstraße wohl sämtlich an die Fenster rief, ist wert, daß man es als Zeitbild festhält: Da gabs ein Schnaufen, Poltern, Rasen auf der Straße und dazwischen ein Brüllen, als ob eine ganze Rinderherde durchginge und als man den Schaden besah, da wars – ein Automobil mit einer „modernen“ Hupe. Soll mal jemand noch sagen, es gäbe keine keine Poesie der Landstraße mehr.

28. November 1911
Feueralarm durchtönte am Vorabend des Totensonntags die Straßen unserer Stadt, die Hornisten unserer Wehr wie auch Fabrikpfeifen gaben Signale und riefen zur Hilfe zu einem Großfeuer im Hüttengrunde, wo ein Teil der chemischen Dampfbleicherei Koch in Flammen Stand. Der Brand war in dem seitwärts des Hauptgebäudes stehenden größeren Trockenhause ausgebrochen, in dem Wolle und Baumwolle, Garne usw. lagerten, und zwar bemerkte man die ersten Flammen in der Nähe des Exhaustors. Das Feuer fand reichliche Nahrung und verbreitete sich deshalb auch schnell über das ganze Gebäude, um bald darauf auf ein kleineres vorgelagertes Haus überzugeifen, indem die Wäscherei und Bleicherei untergebracht war. Ein Glück war es, daß der Wind die Flammen nicht dem Hauptgebäude zutrieb; so war es den Bemühungen der Feuerwehren möglich, den Brand fast auf seinen Herd zu beschränken. Das Hauptgebäude mit dem Kontor sowie das Kesselhaus blieben völlig unversehrt. Trotzdem Wasser in genügender Menge und auch ganz nahe der Brandstelle vorhanden war, konnten die Wehren dem entfesselten Element nicht Einhalt tun, was bei der großen Menge brennbarer Stoffe sehr begreiflich erscheint. De Ursache des Brandes ist noch nicht aufgeklärt, sie dürfte jedoch in Selbstentzündung zu suchen sein. Wie wir hörten, ist der Schaden ganz beträchtlich, er dürfte aber zum größten Teil durch Versicherung gedeckt sein. An Material wurden etwa 8-10.000 Kilogramm Baumwolle vernichtet. Besonders empfindlicher Schaden erwächst der Firma dadurch, daß gegenwärtig große Aufträge in Baumwollbleicherei zu erledigen waren, die jetzt naturgemäß nicht ausgeführt werden können. Außer der Hüttengrunder Wehr waren auch unsere beiden Kompagnien eifrig mit tätig, ebenso die Hermsdorfer Feuerwehr, die sich die Löschprämie errang, und die Kuhschnappler Wehr.

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