Mai 1913

1. Mai 1913
Die goldene Hochzeit zu feiern ist nächsten Sonnabend dem Schneidermeister Steinschem Ehepaare in der Weinkellerstraße beschieden. Körperliche und geistige Frische ist dem Jubelpaar als bestes Gut bis heute beschert gewesen. Wir gestatten uns, dem würdigen Paare, das ein reicher Kranz von Nachkommen umgibt, die besten Wünsche für einen gesunden und heiteren Lebensabend auszusprechen.

5. Mai 1913
Trotz aller Verbote der Behörden wie der Saalbesitzer suchen immer wieder Besucher der Tanzstätten – bezeichnenderweise meist halbwüchsige Burschen – eine gewisse Forsche an den Tag zu legen durch Vorführung des „Schiebetanzes“. So auch gestern ein 17jähriger Drahtbürstenmacher von hier. Obwohl er vom Wirt des „Logenhauses“ wiederholt aufgefordert worden, sich eines anständigen Tanzens zu befleißigen, „schob“ er weiter, bis sich ein Schutzmann ins Mittel legte. Erst nach langem Zögern bequemte er sich zur Namensnennung, so daß er zur Bestrafung angezeigt werden konnte. Das gleiche Schicksal widerfährt auch seiner holden Partnerin, einer hier wohnhaften 18jährigen Fabrikarbeiterin aus Oberlungwitz.

7. Mai 1913
Ein größerer Menschenauflauf entstand gestern nachmittag auf der Chemnitzer Straße.*1 Der Kohlenhändler Ernst aus der Neustadt fuhr mit seinem schwer beladenen Kohlenwagen an einen Mast der elektrischen Leitung, sodaß die Stränge rissen. Der Wagen war dermaßen eingeklemmt, daß er weder vor noch rückwärts ging. Mit Hilfe von hinzugekommenen Leuten mußte er dann nach der Seite gehoben werden. Es bedurfte jedoch längerer Zeit, ehe der schwere Wagen frei wurde. – Bei dieser Gelegenheit verunglückte auch das achtjährige Mädchen eines dort wohnenden Hausbesitzers. Das Kind fuhr mit einem Arm in das Haustürfenster, wobei die starke Glasscheibe in Stücke ging und die Splitter dem Mädchen den Unterarm zerschnitten. Man mußte sofort ärtzliche Hilfe in Anspruch nehmen.

14. Mai 1913
Am Seidelberg sind in der Nacht zum Pfingstsonntag von rohen Händen eine ganze Anzahl von Birkenbäumchen zum Teil umgebrochen, zum Teil ihrer Kronen beraubt worden. Es wird wohl nichts weiter übrig bleiben, als unsere Anlagen, sollen diese nicht allmählich ihrer Verwüstung entgegengehen, auch in der Nacht erhöhten polizeilichen Schutz angedeihen zu lassen.

Die Gartenhaus-Einbrecher geben keine Ruhe. In der letzten Nacht sind den Besitzungender Herren Musterzeichnereibesitzer Ebersbach und Bäckerobermeister Kreher unerwünschte Besuche abgestattet worden, doch soll den Spitzbuben nichts von Belang in die Hände gefallen sein- In diesen Fällen benutzten die Spitzbuben Radehacken, die sie jedenfalls vorher anderswo gestohlen haben, dazu, um sich Eingang in die Grundstücke zu verschaffen. Weiter ist auch in ein Gartenhäuschen des Herrn Barth an den Badteichen eingebrochen worden. Dort hat ein Dieb gegen 30 zu Dekorationszwecken an die Wände geheftete Ansichtskarten heruntergerissen, sich ein Feuer im Ofen bereitet und dann im Häuschen genächtigt. Die letzthin bei Herrn Haugk gestohlenen Sachen – u.a. eine alte graue Hose, eine braune Aermelweste, ferner zwei Radehacken – hat der Dieb, der sich jedenfalls schleunigst aus dem Staube machen mußte, im Bartheschen Häuschen liegen gelassen. Die Polizei hat die zurückgelassene Diebesbeute in Verwahrung genommen.

15 Mai 1913
Heute früh starb schnell und unerwartet eine in unserer Stadt und darüber hinaus bekannte geachtete Persönlichkeit, der pens. Postschaffner Friedrich Zapf im Alter von reichlich 80 Jahren. Zapf war viele Jahre für unseren Ort Berufsvormund, legte aber diesen Posten vor einiger Zeit altershalber nieder. König Friedrich August ehrte den nunmehr verstorbenen vor einigen Jahren durch Ueberreichung eines Ordens.

20. Mai 1913
Eine Aufsehen erregende Erfindung hat ein in der Neustadt wohnender Fabrikarbeiter namens Richard Sonnekalb an Flugmaschinen gemacht, die, falls sie sich bewähren sollte, in der Flugtechnik eine starke Umwälzung hervorrufen dürfte. Der junge Mann hat etwa 2 Jahre an dem Problem gearbeitet, das nun soweit gediehen ist, daß demnächst die Erfindung von der wissenschaftlichen Gesellschaft für Flugtechnik in Berlin geprüft werden wird. Die neue Verbesserung an der Flugmaschine soll den Vorteil haben, daß ein Umkippen sowie Abstürzen unmöglich ist, da die Tragflächen eine ganz andere Form erhalten. Beim Versagen des Motors kann dann die Maschine im Gleitfluge niedergehen ohne Gefahr zu laufen. Auch soll es möglich sein, bei starkem Wind zu starten. Ein Zwillingsmotor wird diese Flugmaschine zum Steigen bringen und sobald der eine Motor versagt, kann sofort der andere in Betrieb gesetzt werden. Die neue Erfindung soll auch noch den Vorteil haben, daß der bisher benötigte Anlauf beim Starten von 200 bis 300 Meter auf mindestens 50 Meter reduziert wird. Sonnekalb hat ein Modell hergestellt und somit längere eingehende Versuche von gutem Erfolg gemacht.

27. Mai 1913
Hilferufe ertönten in vergangener Nacht gegen 2 Uhr auf dem Schützenplatz und es wurde die Feuerwehrwache um Hilfe angegangen. Der Anlaß war aber mehr humoristischer Natur. In einem Schankzelt war ein 50jähriger angesäuselter Wirker und Kellner aus der Umgebung eingekehrt. Da er sich jedoch nicht aufführte, wie sichs gehörte, wurde er von einigen Gästen an die frische Luft gesetzt und zwar so unsanft, daß er an eine gegenüber liegende Bude flog, wodurch die in letzterer schlafenden Fieranten erwachten und, einen Einbrecher vermutend, um Hilfe schrien. Der Hinausgeworfene blutete stark am Hinterkopfe, ließ sich aber, trotz gütlichen Zuredens seitens eines Samariters, nicht verbinden.

28. Mai 1913
Kaum daß in unseren städtischen Parkanlagen die Ruhebänke wieder aufgestellt sind, so kann man doch schon vielfach wieder Klagen hören, daß die Bänke oft stundenlang, namentlich an Spätnachmittagen und abends von jungen Leuten, im besonderen Liebespärchen, besetzt sind. Gönnen wir auch den jungen Leuten ihr Vergnügen herzlich gern, so möchten wir doch darauf hinweisen, daß andere Personen, namentlich ältere Leute, auch ein recht haben, nach des Tages Last und Mühen sich ein Stündchen in unseren herrlichen Parkanlagen erholen und auf den Bänken ausruhen. Etwas mehr Rücksicht der jungen Leute gegen ältere Personen wäre daher sehr am Patze.

*1 Chemnitzer Straße = Pölitzstraße

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