März 1913

01. März 1913
Die elektrische Ueberlandbahn bietet für viel Bewohner des Gersdorf-Hohndorf-Oelsnitzer Kohlenreviers ein neues Verkehrsmittel. Da in vielen Orten dieses Ortes Reviers der Bergbau vorherrschend ist und andere Industriezweige mehr oder weniger fehlen, müssen viele Arbeiter und Arbeiterinnen auswandern, um im hiesigen, sowie im Chemnitzer und Limbacher Industriebezirk ihr Brot zu verdienen. So sind namentlich viele Hunderte von Arbeiterinnen aus dem oben erwähnten Revier im Limbacher Bezirk beschäftigt, wo sie die ganze Woche über weilen und nur am Sonnabend in ihre Heimat reisen und den weiten Weg teils zu Fuß, teils per Bahn zurücklegen. Da nun der Bahnverkehr über St. Egidien nach Lichtenstein-Rödlitz etwas beschwerlich ist, so fahren jetzt eine große Anzahl Arbeiterinnen nur bis zum Hohenstein-Ernstthaler Bahnhof und benutzen von hier ab die elektrische Bahn.

06. März 1913
Ein tragikomischer Vorfall spielte sich heute früh an der Ecke der Schulstraße und Zillplatz ab, wo bekanntlich ein Sammelplatz für allerhand große Hunde und kleine Köter ist, die schon wiederholt Passanten belästigten. Auch heute früh beim Morgengrauen spielten dort zwei große Hunde und der Zufall wollte es, daß gerade zwei junge Burschen vorübergingen. Plötzlich sprangen die Hunde den jungen Burschen zwischen die Beine und die so unverhofft Angegriffenen stürzten mit voller Wucht in den Straßenschmutz. Ehe sie wieder zur Besinnung kamen, waren die Uebeltäter außer Sehweite. Zum Glück hat der Sturz für beide – außer den beschmutzen Kleidern und dem beschädigten Frühstücksbrot, welches in weitem Bogen über den Platz flog – keine Folgen weiter gehabt.

Die Männerriege des Turnerbundes feierte am Montag abend unter zahlreicher Beteiligung im Hotel „Gewerbehaus“ ihr 10jähriges Bestehen. Bei dieser Gelegenheit konnten die Mitglieder William Neubert, Adolf Winter und Max Ebhardt ihr 25jähriges Turnerjubiläum feiern; den drei Jubilaren wurde im Auftrag der Riege je ein sinniges Geschenk überreicht. Der Vorsteher des „Turnerbundes“ Herr Bruno Hofmann ehrte sie außerdem durch eine Ansprache und ermahnte die jüngeren Turner zu gleicher Treue und Anhänglichkeit. Eine vorzügliche Bewirtung und ein Tänzchen verschönerten den Abend noch besonders.

11. März 1913
Eine in hiesiger Stadt und weit darüber hinaus bekannte Persönlichkeit, der pensionierte Postschaffner Herr Friedrich Zapf hat am heutigen Tage seinen 80. Geburtstag. Herr Zapf hat viele Jahre die Kinderfürsorge in unserer Stadt verwaltet, weshalb ihm am heutigen Tage von vielen Mündeln die herzlichsten Glückwünsche überbracht wurden.

Vergangene Nacht gegen 2 Uhr mußte der aus Dresden gebürtige Färbereiarbeiter Alfred Max Hammer, der in Wüstenbrand wohnt, zur Wache gebracht werden, da er und ein Kumpan ein Liebespaar durch die Straßen verfolgte, daß sich des Aufdringlichen nur dadurch erwehren konnte, daß es polizeiliche Hilfe anrief. Nachdem Hammers Personalien auf der Polizeiwache festgestellt worden und er entlassen war, verübte er auf der Weinkellerstraße Skandal, leistete allen polizeilichen Weisungen Widerstand und mußte wiederum in Haft genommen werden. Auf dem Transport zur Wache war er äußerst widerspenstig und ließ sich grobe Beleidigungen des Schutzmannes zuschulden kommen.

13. März 1913
In nicht geringe Verlegenheit geriet dieser Tage ein auf der unteren Schulstraße, gegenüber der Heilmannschen Brauerei wohnender älterer Webermeister. Er war in seiner nach dem Garten zu gelegenen Wohnung mit einer Webarbeit beschäftigt, als an ihm vorüber eine Gewehrkugel durch das Fenster pfiff und in die Wand einschlug. Wäre der Mann nur einen Schritt weiter nach rechts getreten, so hätte die Kugel schwere Folgen anrichten können. Leider konnte der leichtsinnige Schütze noch nicht ermittelt werden. Ohne Zweifel hat derselbe nach Sperlingen geschossen, denn im Hofe lag ein solcher angeschossener Vogel.

14. März 1913
Einen dreisten Taschendiebstahl führte gestern ein junger Mensch von hier an einem jungen Mädchen aus, mit dem er durch die Straßen ging. Im Gespräch zog er den Mädchen unauffällig das Portemonnaie, indem sich 7 Mk. befanden, aus der Jackettasche. Der Bursche konnte bald festgenommen werden und gestand nach längerem Leugnen den Diebstahl. Jetzt sitzt er hinter „schwedischen Gardinen“.

Der Mitinhaber der hiesigen Färbereifirma Eduard Beckert, Herr Otto Beckert, hat vor einiger Zeit von Herrn Baumeister Richter im Goldbachgrunde, neben dem sogenannten Marktsteig, ein größeres Grundstück käuflich erworben, um dort eine größere Färbereianlage errichten zu lassen. Der bau wurde Herrn Richter übertragen und man hat bereits mit den Erdarbeiten hierzu begonnen. Die Anlage soll bis Ende Juli fertiggestellt sein. Der Bau eines Wohnhauses soll erst später stattfinden.

16. März 1913
Lang ist es her, daß die Esse des Lampertusschacht das letzte Mal geraucht hat – heute hatte nun ihr letztes Stündlein geschlagen. Unter Leitung des Herrn Höppner aus Lugau, der einen großen Teil der Schachtanlage zum Abbruch erworben hat, wurde die einige 20 Meter hohe achteckige Esse heute mittag umgelegt. Man hatte den Fuß der Esse ausgehöhlt, dann mit hölzernen Streben gestützt, Holz darum geschichtet, dieses mit Petroleum getränkt und dann angezündet. Das Schauspiel hatte eine große Menge angelockt, die trotz des schlechten Wetters geduldig ausharrte, denn ¾ Stunde dauerte es, bis das Feuer seine Wirkung getan und die Sterben verzehrt hatte. Etwa 1 Meter über der Essensohle bildete sich nach einiger Zeit ein Riß, der sich bald mehr und mehr erweiterte, und kurz nach ¾ 2 Uhr senkte sich die Esse langsam zur Seite, um sich in ihrer ganzen Länge in der vorher genau berechneten Richtung umzulegen- Eine mächtige Staubwolke, ein großer Trümmerhaufen, einige auf die Straße geprellt Mauersteine zeugten von der Vernichtung eines Teils des ehemaligen Wahrzeichens unserer Stadt. Der Vorgang vollzog sich ohne jede Störung und ohne jedweden Zwischenfall. Von zahlreichen Photographen wurde der Vorgang auf die Platte gebannt.

Seit einiger Zeit werden Passanten beunruhigt durch einen offenbar unzurechnungsfähigen Mann, der sein Unwesen hauptsächlich in der Gegend zwischen dem „Logenhaus“ und der Aue treibt. Er belästigt hauptsächlich Frauen und Kinder in der schamlosesten Art und scheut auch vor Angriffen auf Männer nicht zurück. Gendarmerie und Polizei sind eifrig auf der Suche nach dem Uebeltäter, haben aber bis jetzt noch nichts feststellen können, da die Angaben der Belästigten über die Erscheinung des Mannes zu unvollständig sind. Als einziges übereinstimmendes Kennzeichen wird angegeben, daß der Mann einen Ueberzieher, darunter eine Hose und über dieser ein Hemd trägt und mit einem heruntergeschlagenen weichen Hut bedeckt ist.

27. März 1913
Pech hatte heute früh ein Gartenbesitzer im Hüttengrund, der mittelst Wagen auf welchem er zwei Schweine hatte, nach der Talstraße fahren wollte. Eines der Borstentiere hatte Freiheitsdrang, sprang vom Wagen und nahm Reißaus, doch wurde es vom Besitzer nach kurzer Jagd wieder eingefangen. Durch das Gequieke wurde aber plötzlich das Pferd unruhig und scheute, bis es auf der Talstraße durch Zurufe stehen blieb. Mit Hilfe eines hinzugekommenen Familienangehörigen konnte dann das mittlerweile wieder entlaufene Schwein nochmals eingefangen und die unterbrochene Fahrt fortgesetzt werden.

*1 Bismarckstraße = heute Friedrich-Engels-Straße
*2 Moltekstraße = heute Immanuel-Kant-Straße

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