Juni 1915

3. Juni 1915
Die Frage der Erweiterung und des Ausbaues unserer städtischen Gastanstalt stand in der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten abermals zur Beratung. Den Anlaß hierzu gab eine Anfrage des Stadtrates, ob das Kollegium, das sich mit seinem letzten zustimmenden Beschluß im Gegensatz zu dem ablehnenden des Rats befand, auch jetzt noch diesen Beschluß aufrecht erhalte. Wie zu erwarten war, änderte das Kollegium auch gestern seine Ansicht nicht, denn es wurden ja bereits verschiedene Maßnahmen getroffen, die ein Zurück schlechterdings fast ausschließen. Gestern allerdings wurden lediglich politische Beweggründe bei dem Für und Wider erörtert, weniger Gemüht legte man auf die technische Notwendigkeit des Baues, die lediglich in Herrn Gasinspektor Martini einen Verfechter fand. Den ausführlichen Bericht über diese Sitzung finden unsere Leser im Zweiten Blatt.

5. Juni 1915
Herr Lehrer Arnold feierte heute, den 4. Juni, sein 25jähriges Amtsjubiläum. Die Lehrerschaft der 2. Bezirksschule versammelte sich aus Anlaß dieses Jubiläums mittags nach Schulschluß zu einer schlichten Feier. Herr Direktor Patzig brachte dem Jubilar die besten Glückwünsche des Kollegiums dar. Als sichtbares Zeichen der Wertschätzung und zur dauernden Erinnerung an den Ehrentag widmeten ihm seine Amtsgenossen ein sinniges Geschenk. Möge Herr Arnhold noch viele Jahre in gleicher Rüstigkeit wie bisher seinem Amte vorstehen zum Segen der Schule wie der ganzen Gemeinde.

9. Juni 1915
Die chemische Dampfbleicherei Hüttengrund (Inh. Gebrüder Meißner) führte am Sonnabend für ihre Arbeiterinnen und Arbeiter eine nachahmenswerte Einrichtung ein, indem sie ohne vorherige Bekanntgabe allen bei ihr Beschäftigten von diesem Tage an eine ansehnliche Teuerungszulage zahlte.

13. Juni 1915
Die Gruberhöhe, die erste Anpflanzung auf unserem Berge, von deren Schenkung an den Erzgebirgsverein wir seinerzeit berichtete, ist nunmehr durch diesen Verein in Gemeinschaft mit der Stadtgemeinde zu einem Erinnerungsplatze für den ersten und langjährigen Vorsitzenden des Erzgebirgsvereins und Förderer der Verschönerung und Erschließung unserer Heimat ausgestaltet worden. Der inmitten des Rundteiles stehende Eichbaum ist von seinen Nachbarn befreit und zum Gedenkbaum gemacht worden. Um ihn her sind Latschenkiefern gepflanzt, die sich durch Blöcke von heimischem Gestein, Kuhschnappler Serpentin, winden. Das Ganze macht durch Vermeidung alles Unkräftigen einen der markigen Persönlichkeit des genannten Naturfreundes entsprechenden Eindruck. In dem größten Serpentinitsteinblock ist eine Tafel eingelassen, die die Inschrift trägt:

Zur Erinnerung an Carl Gruber,
Ritter pp.
Ehrenbürger der Stadt,
Ehrenmitglied des Erzgebirgsvereins.

Die Jahreszahl 1913 bedeutet auf das Jahr des Heimganges. Oestlich und westlich vom Rundteil ist je eine Bank aufgestellt worden, die in dankenswerter Weise von privater Seite gestiftet wurden. Einige angepflanzte Bäume auf den vorgelagerten Rasenflächen leiten den Blick vom Hauptwege über nach der schönen Erinnerungsstätte, die einen neuen und wirkungsvollen Schmuck des heimatlichen Berges bilden.

22. Juni 1915
Wieder hat der Krieg mehrere Opfer aus unserer Stadt gefordert. Herr Zahnarzt Lindemann, Oberleutnant und Kompagnieführer in einem Landwehr-Infanterie-Regiment, hat auf den Schlachtfeldern von Galizien in den letzten Tagen der vorigen Woche den Heldentod gefunden. Herr Lindemann war bereits in den Gefechten um Rethel zu Anfang des Feldzuges durch ein Schrapnellgeschoß verwundet worden, war dann nach seiner Heilung bei dem Ersatzbataillon seines Regimentes in Breslau tätig und erst vor wenigen Tagen wieder an die Front gekommen, wo ihn in den schweren Kämpfen um Grodek ein feindliches Geschöß tödlich traf. Um ihn trauern seine Gattin und zwei im zartesten Alter stehende Kinder. Herr Lindemann, der aus Schleswig-Holstein stammte und seit etwa 10 Jahren hier als Zahnarzt tätig war, hatte sich einen großen Freundeskreis und eine zahlreiche Kundschaft zu erwerben verstanden, die sein frühes Hinscheiden lebhaft beklagen. – Ferner fand am 15. Juni der Soldat Ernst Paul Arnold vom Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 106 durch einen Granatsplitter im Schützengraben den Tod. Der für sein Vaterland Gefallene war der Sohn des auf der Herrmannstraße wohnhaften Fabrikwebers Herrn Arnold und war erst vor wenigen Wochen nach seiner Rekrutenausbildung in Feindesland gekommen. Weiter fiel vor dem Feinde der Jäger Heino Pilz, der Schwiegersohn des auf dem Pfarrhain wohnenden Materialwarenhändlers Herrn Herrmann Uhlig. Der junge Krieger hatte einen Bauchschuss erhalten, dem er im Lazarett erlag. – Schließlich ist noch der Kanonier Hermann Singer im Feld-Artillerie-Regiments Nr. 116, der Sohn des Herrn Fleischermeister Franz Singer auf der Bismarckstraße, vor dem Feinde gefallen. Den jungen Kriegern, die mit ihrem Blute die Liebe zum Vaterlande besiegelten, wird das Gedenken der Mitwelt bleiben.

Gestern morgen gegen ½ 7 Uhr überflog ein militärischer Doppeldecker neuesten Systems unsere Gegend südlich der Stadt, der sich schon von weitem durch das Geräusch seines Propellers ankündigte. Das mächtige Flugzeug nahm den Weg nach Zwickau zu, erlitt aber, noch ehe es aus unserem Gesichtskreis verschwand, einen Motorschaden, der den Flieger zwang, in der Nähe von St. Egidien auf einem Haferfelde des Gutsbesitzers Weber im Gleitflug niederzugehen. Da sich bei näherer Untersuchung herausstellte, daß zwei Zylinder des Motors den Dienst versagten, so wurde das Flugzeug, das bei dem Niedergehen keinerlei Beschädigungen erlitten hatte, abmontiert und gegen Abend von Soldaten der Glauchauer Garnison, schleunigst herbeigerufen worden waren, nach dem Bahnhofe von St. Egidien befördert. Während der Rumpf durch eigene Motorkraft auf der Straße weitergebracht werden konnte, mußten die großen Tragflächen von den hilfsbereiten Kräften nach St. Egidien getragen werden. Das Fahrzeug das von Großenhain kam und mit dem Führer und einem Leutnant besetzt war, wollte auf seiner Erkundungsrundfahrt über Zwickau nach Leipzig, um von dort nach dem Flugplatz bei Großenhain zurückzukehren. Das Flugzeug wurde nach seiner Landung aus dem Haferfelde nach einem abgeernteten Kleefelde geschleppt und dort bis zum Eintreffen des Militärs von der St. Egidiener Feuerwehr und Gendarmerie bewacht. Die Kunde von dem Unfall des Doppeldeckers hatte sich schnell herumgesprochen, so dass die Unfallstelle tagsüber von zahlreichen Besuchern umlagert war.

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