Juli 1914

1. Juli 1914
Das Alte stürzt! Gestern hat man in der Neustadt an der Straße nach dem neuen Friedhof mit dem Abbruch der sogenannten „Fleischer-Scheune“ begonnen, die jetzt zum neuen Fabrikgrundstück des Herren Dreschel und Günther gehört. Neben der Scheune hat man ein Transformatorenhäuschen errichtet. Der Bau der Fabrik ist nun soweit gediehen, daß man im Inneren mit dem Legen der Transmissionen begonnen hat. Gegenwärtig schreitet man zum Bau eines Hintergebäudes in welchem die Stallung und Wagen untergebracht werden. Bis zur Inbetriebnahme der Fabrik dürften noch mehrere Wochen vergehen.

2. Juli 1914
Heute mittag fand im Saale des Kgl. Amtsgerichts durch Herrn Landgerichtspräsident Dr. Clauß aus Zwickau die feierliche Einweisung des neuernannten Herrn Oberamtsrichters Dr. Vogel statt. Nach der Einweisungsrede des Herrn Präsidenten begrüßten die Herren Amtsrichter Dr. Kirchner und Bürgermeister Dr. Patz den Herrn Oberamtsrichter namens der Beamtenschaft des Amtsgerichts und der Stadt Hohenstein-Ernstthal. Im Anschlusse an die Feier fand ein Mahl im Hotel „Drei Schwanen“ statt.

3. Juli 1914
Von dem Baumeister Richterschen Wohnhäusergruppenbau an der Luther- und Bismarckstraße sind die drei an der Lutherstraße geplanten Wohnhäuser bereits bis zur zweiten Etage gediehen. Für das Eckhaus und das an die Bismarckstraße zustehenkommende fünfte Haus dürften die Gründungsarbeiten auch bald beginnen. Wird das Ganze im Aeußeren sich als schöne harmonierende Einheit zeigen, so bieten anderseits die Häuser im Innern alle Bequemlichkeiten und Fortschritte der Neuzeit: Bad, Innenklosett, Gas, elektrische Kraft, Küchenbalkon und Garten sind für die Wohnungen vorgesehen. Mit diesem Gruppenbau dürfte der Mangel an Wohnungen in mittlerer und höherer Preislage auf eine gewisse Zeit beseitigt sein.

4. Juli 1914
Wie wir hören, wird demnächst der Betrieb in der Neustädter Brauerei (Unionbrauerei) eingestellt. Damit dürfte ein Betrieb verschwinden, der einer der ältesten der Neustadt ist und sich auf etwa 150 Jahre zurück verfolgen lässt. Was aus der Einrichtung resp. den umfangreichen Grundstücken wird, steht noch nicht fest. Möglich ist, daß die Schulgemeinde einem Erwerb näher tritt.

9. Juli 1914
Einem Wunsche des Stadtverordneten-Kollegiums entsprechend, fand gestern Dienstag eine Besichtigung des von der Stadt käuflich erworbenen Mineralbades statt. Die Führung und Erklärung hatten die Herren Bürgermeister Dr. Patz und Stadträte Anger und Bohne übernommen. Für städtische Zwecke besonders wertvoll ist neben anderen Wasserquellen eine Quelle, die nördlich des einen Teiches entspringt und von der aus eine Leitung nach dem Kurhaus führt, die die ganze Anlage überreichlich mit bestem Trinkwasser versieht. Den Teich an der Straße hat eine kleine Gesellschaft hiesiger Bürger gepachtet, an der Fischnutzung ist der neue Wirt beteiligt, dem die Obstnutzung in den vorderen Anlagen verbleibt und der im Winter auch die Eisenbahn pachten wird. Die Wirtschaft wird in der Sonderpacht weitergeführt, ebenso das Gut. In den Anlagen nahe der Mineralquelle will man einen Kinderspielplatz anlegen. Die Mineralquelle selbst ist neu gefaßt worden und stellt jetzt ein 31/2 Meter hohes Bassin dar, das mit einer Glasplatte überdeckt und mit einem kleinen Pavillon umgeben werden soll; der Wasserstand ist etwa 21/2 Meter. Die übrigen Quellen zu fassen erschien zwecklos. Eine dieser starklaufenden Quellen, die sehr eisenhaltiges Wasser führt, wird schon 1765 urkundlich erwähnt und seine Einfassung in Sandstein zeigt die Initialen des Grafen und Herrn von Schönburg (1785). Eine Oelgasanlage versorgt die Gebäude mit Gas; in Zukunft wird man sie in eine Kohlengasanlage umändern, wofür die Kosten nicht hoch anzuschlagen sind. Gasmeister, Hausmann und Bademeister ist der bisherige Schulhausmann Eichhorn-Hüttengrund. Das Waschhaus ist überreichlich mit Wasser versehen, das, wie gesagt, durch die gesamt Anlage fließt. Große Stallungen bieten viel Gelegenheit zum Unterstand für Pferde. Der alte Speisesaal soll geteilt werden; die eine Hälfte steht dem Wirt zur Verfügung, die andere beansprucht die Stadt für sich. Für das sogen. Ulrich-Häuschen scheint sich keine besondere Verwendung zu finden. Wieviel Räumlichkeiten das Kurhaus enthält, davon bekommt man erst bei genauerer Besichtigung einen Begriff. Das Erdgeschoß enthält eine große Zahl von Einzelbädern, zu denen sich auch zwei große Bäder für gemeinsamen Gebrauch gesellen, eins der kleineren ist auch mit Badeofen versehen. In das warme Badewasser wird das Mineralwasser geleitet und beides gemischt nimmt dann eine braune Färbung an. Neben den Badegesellen liegt die Heizungsanlage. Die oberen Stockwerke enthalten die Fremdenzimmer in sehr großer Zahl, von denen zunächst einige wohnlich eingerichtet werden sollen zur Aufnahme von Kurgästen. Die Lage dieser Zimmer ist größtenteils eine recht idyllische. Auch die oberen Stockwerke des vorderen Hauptgebäudes weisen Zimmer auf, die den Kurgästen angenehmen Aufenthalt bieten. Das frühere Lorenzsche Wohnzimmer will man zu einem Gesellschaftsraum einrichten. Im großen ganzen, zumal auch im Saal, gibt’s allerdings reichlich zu tun, wenn alles in einen Zustand versetzt werden soll, wie er städtischem Besitz zukommt. Die ganze Anlage wird hoffentlich recht bald wieder zu schöner Blüte gelangen; noch heute spricht so vieles in der ganzen Einrichtung von der Pracht entschwundener Zeiten.

10. Juli 1914
Gestern gegen Abend entstand auf der Waisenhausstraße eine größere Menschenansammlung. Den Anlaß hierzu gab ein Pferd des Roßschlächters Herrn Neumarker, der mit dem Tiere in seinen Hof fahren wollte. Trotzdem man sich alle Mühe gab, das widerspenstige Pferd in den Hof zu bringen, ging es nicht von der Stelle. Es schlug und legte sich, bis man es endlich vom Wagen abspannte. Ohne den Wagen ging es dann hinein.

22. Juli 1914
Gelegentlich eines Zwistes geriet vorgestern ein auf der Bahnstraße wohnendes Ehepaar durch das rücksichtslose Verhalten der Ehefrau in Tätlichkeiten, bei der die letztere die meiste Prügel erhielt. Der Mann geriet in solche Aufregung, daß er schließlich noch eine Kohlenschaufel nahm und der Frau eine sehr erhebliche Verletzung am Arm beibrachte, sodaß man einen Arzt holen musste.

24. Juli 1914
Die Vorführungen der Seiltänzer-Gesellschaft freuten sich gestern und vorgestern recht guten Zuspruchs, zumal seitens der – Zaungäste, die sich nicht einmal eingestehen wollen, wie klein sie sich zeigen, wenn sie auseinandertrieben, sobald ein Mitglied der Gesellschaft mit dem Sammelteller herumgeht und ein Scherflein von denen heischt, die sich an den Künstlern ergötzen. „Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert“ – mit diesen Worten leitete einer der Mitwirkenden die gestrige Vorstellung ein. Dieses Wort wird sicher von allen Besuchern als unwiderleglich bezeichnet werden; leider aber handelt die große Masse nicht danach. Die Vorführungen erfreuten sich allseitigen Beifalls. Sie sind recht vielseitig und verdienen guten Besuch.

26. Juli 1914
Gegenwärtig vollzieht die Firma J. G. Böttger ihren Umzug nach dem an der König-Albert-Straße errichteten großen Geschäftshause. Die Firma hat seit ihrer Gründung ihre Geschäftsräume stets auf der hiesigen Breitestraße gelegenen drei Geschäftshäuser zu Wohnungen umgebaut, wodurch eine größere Zahl Wohnungen entstehen. Die Häuser wurden bereits vor einiger Zeit an drei hiesige Herren verkauft. Auch dürfte das bisherige Kino an der Limbacherstraße nach dort verlegt werden.

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